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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fuehmann
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nicht auf mein unschuldiges Haus!‹ Also sprach er und trieb mich mit harten Worten aus dem Palast, und wir ruderten schluchzend aufs Meer zurück, darüber noch immer die Winde tollten.

Unter den Steinen der Laistrygonen
    Sechs Tage und sechs Nächte hatten wir, unsere Torheit verfluchend, die Wogen durchrudert, da landeten wir vor Telephylos, der befestigten Stadt der Laistrygonen. In diesem Land sind die Nächte so kurz, dass der Hirt, der abends die Schafe heimtreibt, schon die Rufe seines Gefährten hört, der morgens die Rinder zur Weide hinausführt, und wer den Schlaf zu entbehren vermöchte, könnte hier leicht seinen Lohn verdoppeln.
    Der Hafen dieses Landes hat wohl nicht seinesgleichen: Himmelragende Felsen umschließen ihn beinah zur Gänze, und nur durch eine schmale, von zwei vorspringenden Felsspitzen gebildete Pforte können die Schiffe einzeln ins Innere einfahren. Die See mag draußen brausen, so wild sie nur will, im Port er regt sie nicht die leiseste Welle, darum banden wir auch die Schiffe unbesorgt dicht aneinander; meinen schwarzen Segler aber kettete ich, um schnell ein Schiff zur Verfügung zu haben, außerhalb des Hafens an einer Felszacke fest. Dann klomm ich auf einen hohen Gipfel, der mir gute Aussicht bot, gewahrte aber nirgends eine Spur von Pflügern oder Stieren; nur Rauch stieg fern in mächtigen Säulen von der Erde zum Himmel, als läge dort eine riesige Stadt.
    Ich sandte zwei Gefährten samt einem Herold aus, das Land zu erkunden. Sie folgten einer Straße hinauf in die Berge und stießen vor den Mauern der Stadt auf ein stattliches Mädchen, das Wasser aus einer Quelle schöpfte. Es war die Tochter des Königs der Laistrygonen, eines Mannes namens Antiphates. Das Mädchen zeigte sich meinen Freunden gewogen und führte sie in den hohen Palast ihres Vaters; dort fanden die Männer des Königs Weib, das war eine Riesin, einen gewaltigen Berggipfel groß! Meinen Gefährten graute, dennoch entboten sie Gruß und Segen; die Riesin kreischte: ›Antiphates, sieh, es sind Gäste gekommen‹, und Antiphates, riesig wie seine Gemahlin, polterte ungestüm in den Saal, packte ohne langes Federlesen einen der armen Gefährten und führte ihn zum Maul, wie man ein Stück Brot oder eine Scheibe Fleisch zum Mund führt. Diebeiden andern rannten davon und flohen quer durch die Stadt zu den Schiffen; Antiphates aber begann zu brüllen, da brachen die schrecklichen Laistrygonen, Riesen allesamt, von überallher aus Verstecken und Häusern, und sie schleuderten Felswände auf die Schiffe, und in das Krachen und Splittern der Planken mischte sich das Geschrei der zerschmetterten Männer, und es war noch ein gnädiges Los, von den Steinen zermalmt zu werden oder im stillen Wasser der Bucht zu versinken, denn wen die Unholde griffen, den durchstachen sie wie einen Klippfisch, und also fädelten sie Leib an Leib auf eine Hanfschnur und schleppten, eben wie man eine Last Fische oder Nachtigallzungen zum Markt schleppt, die Ärmsten zum furchtbaren Fraß in den Königspalast. Den Kampf aufzunehmen wäre sinnlos gewesen, an eine List war nicht zu denken, so kappte ich denn das Tau meines blauschnäbligen Seglers, des einzigen Schiffes, das mir nun noch verblieben war, und ruderte eilends mit meiner Mannschaft, fünfundvierzig Gefährten, davon.
Ein Jahr auf Aiaia
    Wir ruderten bange Tage, um unsere lieben Gefährten trauernd, und kamen schließlich zur Insel Aiaia. Über sie herrschte – was wir damals noch nicht wussten – Kirke, eine schöngelockte, mit lieblicher Stimme begabte Göttin, eine Tochter des Sonnengottes Helios. Wir stiegen an Land und ruhten, von Kummer, Arbeit und Hunger erschöpft, zwei Tage und Nächte; am Morgen des dritten Tages raffte ich mich auf, hängte mein Schwert um die Schulter, ergriff eine Lanze und bestieg einen nahe gelegenen Hügel, um Ausschau zu halten. So weit das Auge reichte, sah ich Gebüsch und dichte Wälder, doch es war mir, als ob aus der Mitte der Insel eine dünne Rauchsäule stieg. Es drängte mich, dorthin zu gehen und Speise und Trank zu erbitten, allein ich hielt es, vom letzten Schrecken gewitzigt, für besser, zum Schiff zurückzukehren und zunächst eine größere Zahl von Spähern auszusenden.
    Knapp vor dem Schiff erfreute ich mich noch der Gunst eines wohlmeinenden Gottes: Ein riesiger, zur Tränke strebender Hirsch rannte mir in den Weg, und es gelang mir, ihm mit der Lanze das Rückgrat zu durchstoßen, und ich hatte die Waffe mit solcher

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