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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fuehmann
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graben vermögen‹, sprach Hermes, dann riet er mir noch, die Zauberin ohne Erbarmen mit dem Schwert zu bedrohen und so lange nicht auf ihr Flehen zu achten oder ihren Verlockungen zu folgen, ehe sie nicht feierlich geschworen, mir keinen Schaden zu tun. Mit diesen Worten entschwand der Gott und stieg auf zum Olymp; ich aber nahm das Kraut Moly an mich, verbarg es in den Falten meines Gewandes, und also gewappnet trat ich ohne Scheu vor den Palast. Sogleich eilte Kirke heraus und tat mir das strahlende Tor auf und lud mich zum Mahle; ich staunte ob ihrer unirdischen Schönheit und presste das Zauberkraut fester an mich. Die Göttin wies mir einen silberbeschlagenen Thron zum Sitz an und mischte mir ein Getränk in einem Becher aus purem Gold. Ich sah sie den Zaubersaft in den Wein träufeln, doch ich trank, auf Hermes’ Rat vertrauend, und als ich getrunken hatte und sie, wild lachend, mich mit der Rute anrührte und rief, ich möge mich zu meinen Gefährten in den Koben trollen, sprang ich vom Sessel, riss das blanke Schwert von der Hüfte und richtete es wider Kirkes Brust. Die Göttin erbleichte, da sie mich heil und unverwandelt erblickte, sie fiel mir zu Füßen, umschlang voll Angst meine Knie und rief klagend: ›Du bist kein Sterblicher, Freund, wenn dich mein Zauber nicht angreift! Oder bist du etwa Odysseus, dessen Kommen mir Hermes verkündet hat? Wenn du es bist, dann stecke doch, Liebster, dein Schwert weg und teile mit mir das Lager; Liebe soll dich versöhnen und unsere Leiber und Seelen vereinen, dass wir einander hinfort in Freundschaft vertraun!‹

    Sie sprach’s und schmiegte sich inniger an meine Knie, ich aber setzte das Schwert auf ihre Kehle und sagte mit drohender Stimme: ›Wie kannst du begehren, Kirke, dass ich dich freundlich umarme, da du an meinen Gefährten so Böses verübt hast! Glaubst du, ich weiß nicht, dass du mich nur auf dein Lager locken willst, um mich zu entwaffnen und mir meine Tugend und Mannesstärke zu rauben? Nein, nicht eher will ich deinem Wunsch willfahren, ehe du nicht feierlich schwörst, mir kein Leid mehr zu tun!‹
    Kirke schwor nach meinem Verlangen, und ich teilte mit ihr das Lager und schlief die Nacht in ihrem Arm. Anderntags weckten mich vier holdselige Jungfrauen, das waren Töchter der Quellen und heiligen Ströme, und ihre Väter waren die schattenspendenden Haine der Insel. Diese Jungfrauen standen in Kirkes Dienst und umsorgten mich nun; ich wurde von ihnen gebadet, gesalbt, mit Purpur bekleidet und schließlich zum Festmahl geführt. Kirke saß schon an der Tafel, darauf weißes Brot und Wein und köstliches Wild zum Schmaus bereitstanden; sie gebot mir, nach Herzenslust zu essen, doch ich saß reglos am beladenen Tisch und aß keinen Bissen und blickte in trauriger Schwermut.
    ›Warum issest und trinkest du nicht, Geliebter‹, fragte die Zauberin, ›traust du vielleicht meinem heiligen Schwur nicht mehr?‹
    ›Ach, Kirke, Kirke‹, sprach ich, ›wie könnte ich essen und trinken, da ich meine lieben Gefährten in Schweine verwandelt weiß! Gib sie, ich bitte dich, frei, wenn du willst, dass ich mich deiner Freundschaft erfreue!‹
    Da nahm Kirke die Zauberrute und öffnete die Koben und trieb meine Gefährten, die nun neunjährige Eber waren, auf den Hof, bestrich jeden mit zaubrischem Saft, und siehe, die Rücken richteten sich wiederum gerade, das Fett und die Borsten schmolzen weg, die Schnauzen wandelten sich zu Mündern und die stumpfen Klauen zu Händen und Füßen, und so, als wären die Gefährten durch einen Jungbrunnen geschritten, traten sie schöner und jugendfrischer und stattlicher als je zuvor aus der tierischen Gestalt, und sie umarmten mich alle und weinten vor Freude, dass es weithin durch die Wälder schallte.
    Ich eilte nun, die Kameraden, die beim Schiff zurückgeblieben waren, zu den glücklich Erlösten zu führen. Sie wurden gleich mir gebadet, gesalbt, mit köstlichen Gewändern versehen und fürstlich bewirtet; nach den vielen Kämpfen und Abenteuern genossen wir das Glück der Geborgenheit und des Überflusses; im Flug verging uns die Zeit, und schließlich weilten wir schon ein volles Jahr auf der Insel. Da wurde unser Herz von Heimweh schwer; ich bat Kirke, uns freizugeben, und die Göttin versprach auch gnädig, uns zu entlassen, nur müssten wir noch, so verlangte sie, über den Ozean hin zum Totenreich fahren, auf dass uns die Seele des blindenvielwissenden Sehers Teiresias die Zukunft weissage. Ob dieser

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