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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fuehmann
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Wucht geführt, dass ihr Blatt noch durchs Bauchfell des Tieres drang. Mit Weidenruten schnürte ich die Läufe des gewaltigen Bockes zusammen und bürdete mir die Beute auf die Schultern, doch wenn ich mich nicht auf die Lanze hätte stützen können, wäre ich unter der unmäßigen Last gewiss zusammengebrochen.
    Die Gefährten jubelten ob meines Jagdglücks; wir saßen den ganzen Tag am Ufer des wüsten Meers und brieten und schmausten; am nächsten Morgen aber berief ich die Gefährten zur Ratsversammlung. Ich berichtete von der dünnen Rauchsäule in der Mitte des Eilands und schlug vor, unsere Schar zu teilen und auszulosen, welche Mannschaft den Spähgang wagen solle. Den einen Trupp wollte ich selbst führen, zum Gebieter des an dern hatte ich meinen Schwager Eurylochos bestimmt, für dessen Schar denn auch das Los aus dem geschüttelten Helm sprang. Weinend, nichts Gutes ahnend, blieben wir bei den Schiffen zurück.
    Die Späher drangen, wie Eurylochos, ihr Anführer, mir später berichtete, vorsichtig und langsam zur Mitte der Insel vor und stießen dort auf einen prachtvollen Palast. Er war aus gehauenen Steinen gefügt und solcherart auf einem Hügel errichtet, dass man aus seinen Fenstern nach allen Seiten weit übers Land blicken konnte. Kein Mensch war zu sehen, rings um den Palast aber tummelten sich Bergwölfe und mähnenbehangene Löwen, die, anstatt den Fremden mit wildem Geheul an die Gurgel zu springen, sich schweifwedelnd und schnuppernd an ihre Schenkel schmiegten, wie zahme Hunde, die ihren Herrn um einen Leckerbissen anbetteln. Die Männer standen erstaunt und erschreckt und sahen voll Furcht auf die seltsamen Ungeheuer, da hörten sie aus dem Palast einen lieblichen Frauengesang. Es war Kirke, die an einem Wun derteppich webte und sich ihre mühevolle Arbeit mit einem Lied erleichterte. Die holden Melodien machten den Gefährten Mut; sie riefen laut, das Tor zu öffnen, und kaum hatten sie gerufen, erschien auch schon Kirke vor dem goldschimmernden Tor.
    Sie winkte den Gefährten, ihr zu folgen, hieß die Männer auf prächtige, throngleiche Sessel sich niederlassen und richtete geriebenen Käse mit Mehl und goldgelbem Honig zu einem Festessen an. Dann mischte sie pramnischen Rotwein mit betörend duftenden Essenzen und bot ihn den Gästen in silbernen Pokalen dar. Arglos und scherzend zechten die Männer, nur ihr Führer, mein Schwager Eurylochos, ein wägender und misstrauischer Mann, hatte Böses geahnt und war auf dem Hof geblieben. Als die Gefährten die Tafel geleert hatten, lachte Kirke hell auf und berührte sie mit einer Rute, und siehe, die Männer sanken zu Boden und begannen auf allen vieren zu kriechen; ihre Münder wölbten sich zu rüssligen Schnauzen; Borsten brachen aus ihrer Haut, die sich zum schwartigen Fell verdickte; ihre wohlgebildeten Füße und Hände schrumpften zu Klauen; Fett wucherte über ihr Angesicht und verdeckte fast völlig ihre Augen, und so, in Schweine verwandelt, wurden sie, die weinten, da ihnen der Menschenverstand noch geblieben war, von der grausamen Zauberin in hölzerne Koben gescheucht, und eine Schütte von Eicheln und Bucheckern war fortan ihr Mahl.
    Eurylochos stürzte zu uns, die grässliche Verwandlung zu mel den. Stammelnd nur sprach er das Ungeheuerliche aus, und eilends ergriff ich Bogen, Köcher und Schwert und forderte den Schwager auf, mich zu Kirkes Palast zu führen. Eurylochos aber fiel mir zu Füßen, umschlang meine Knie und riet flehend zur schleunigen Flucht. ›So bleibe denn, Feigling!‹, sprach ich. ›Bleibe denn beim Schiff und füll dir den Wanst an – mich freilich treibt die Sorge um die Gefährten!‹
    Also rannte ich allein zum Palast, und ich sah seine ragenden Mauern schon durchs Buschwerk schimmern und hörte schon der Zauberin wundersamen Gesang, da trat mir plötzlich ein blühender, braunwangiger Jüngling gebieterisch in den Weg. Er trug einen goldenen, von zwei Schlangen umwundenen Stab in der Rechten und geflügelte Halbstiefel an den Füßen, wie nur Hermes, der Götterbote, sie trägt. ›Was willst du wagen, Unseliger‹, sprach der Jüngling, ›wie willst du die Gefährten befreien, wenn du das Mittel nicht besitzest, um Kirkes Zauberkraft zu widerstehn!‹ Er sprach dies und reichte mir eine Pflanze, die er das Kraut Moly nannte; eswar eine kleine Blume, die Wurzel von tiefstem Schwarz, ihre Blüte aber milchweiß und ohne den geringsten Makel. ›Nimm dieses Kraut, das Sterbliche nicht aus der Erde zu

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