Irrsinn
Billy.
»Frag doch mal Celia Reynolds.«
»Wer ist das?«
»Die wohnt neben Steve.«
»Nachbarn sind oft zerstritten«, meinte Billy. »Da kann man nicht immer glauben, was sie sagen.«
»Celia sagt, er spielt im Garten den wilden Mann.«
»Was soll das denn heißen?«
»Er rastet völlig aus, sagt sie. Macht irgendwelche Sachen kurz und klein.«
»Was für Sachen?«
»Zum Beispiel einen Esszimmerstuhl.«
»Wessen Stuhl?«
»Seinen eigenen. Er hat ihn zerhackt, bis bloß noch Splitter übrig waren.«
»Und wieso?«
»Er flucht laut auf Gott und die Welt, wenn er so was macht. Offenbar baut er damit Wut ab.«
»An einem Stuhl.«
»Ja. Auch auf Wassermelonen geht er mit der Axt los.«
»Vielleicht mag er Wassermelonen«, meinte Billy.
»Er isst sie aber nicht. Er hackt bloß so lange darauf ein, bis nur noch Matsch übrig ist.«
»Und flucht dabei.«
»Genau. Er flucht, er grunzt, er faucht wie ein wildes Tier.
Ganze Wassermelonen. Ein paarmal hat er sogar Puppen zerhackt.«
»Was für Puppen?«
»Du weißt schon, solche aus dem Kaufhaus.«
»Schaufensterpuppen?«
»Genau. Er geht mit der Axt und dem Vorschlaghammer auf sie los.«
»Wo kriegt er denn Schaufensterpuppen her?«
»Keine blasse Ahnung.«
»Klingt aber gar nicht gut.«
»Sprich mal mit Celia. Die wird dich ins Bild setzen.«
»Hat sie Steve gefragt, weshalb er sich so verhält?«
»Nein. Sie hat Angst davor.«
»Glaubst du ihr?«
»Celia ist keine Lügnerin.«
»Meinst du, Steve ist gefährlich?«, fragte Billy.
»Wahrscheinlich nicht, aber wer weiß.«
»Vielleicht solltest du ihn rausschmeißen.«
Jackie hob die Augenbrauen. »Und dann entpuppt er sich als einer von den Typen, die man in den Fernsehnachrichten sieht? Was ist, wenn er hier mit ’ner Axt reinmarschiert?«
»Irgendwie hört sich das nicht besonders plausibel an«, sagte Billy. »Im Grunde glaubst du’s doch selbst nicht.«
»Doch, das tu ich. Schließlich geht Celia dreimal die Woche zur Messe.«
»Jackie, du flachst mit Steve doch immer herum. Du kommst gut mit ihm aus.«
»Ich bin immer ein wenig wachsam.«
»Das ist mir noch nie aufgefallen.«
»Trotzdem bin ich es. Ich will ihm gegenüber nur nicht unfair sein.«
»Unfair?«
»Er ist ein guter Barkeeper und macht seine Arbeit.« Ein beschämter Ausdruck huschte Jackie O’Hara übers Gesicht. Seine runden Wangen erröteten. »Eigentlich hätte ich gar nicht so über ihn sprechen sollen. Es waren bloß die ganzen Kirsc h stängel. Die haben mich geärgert.«
»Zwanzig Kirschen«, sagte Billy. »Was werden die wohl kosten?«
»Um Geld geht es mir nicht. Es ist dieser Trick mit seiner Zunge. Der ist irgendwie obszön.«
»Also, ich hab noch nie gehört, dass sich jemand deshalb beschwert hätte. Besonders Frauen schauen ihm gerne dabei zu.«
»Und die Schwulen«, sagte Jackie. »Ich will nicht, dass das eine Singleskneipe wird, egal, ob schwul oder hetero. Es soll eine Familienkneipe sein.«
»Gibt es denn so was überhaupt?«
»Aber natürlich.« Jackie sah verletzt drein. Eine Spelunke war seine Kneipe auch tatsächlich nicht. »Wir bieten doch Kinde r portionen Pommes und Zwiebelringe an, oder etwa nicht?«
Bevor Billy etwas erwidern konnte, trat der erste Gast des Tages durch die Tür. Es war vier nach elf. Der Bursche bestellte seinen Brunch: eine Bloody Mary mit einem Selleriestängel.
Während der Mittagszeit, als wie üblich viel Betrieb herrschte, standen Jackie und Billy gemeinsam hinter dem Tresen. Das Essen, das Ben frisch am Grill zubereitete, servierte Jackie an den Tischen.
Heute war mehr los als üblich, weil Dienstag Chili-Tag war, aber eine Kellnerin brauchten sie trotzdem nicht. Ein Drittel der Gäste beschränkte sich auf ein flüssiges Mittagessen, und ein weiteres Drittel gab sich mit Erdnüssen, Würstchen aus dem Glas auf der Theke oder den kostenlosen Salzbrezeln zufrieden.
Während Billy Wiles Drinks mixte und Bier zapfte, stand ihm ständig ein beunruhigendes Bild vor Augen: Steve Zillis, der eine Schaufensterpuppe in Stücke hackte. Zack, zack, zack.
Als die Zeit verging und niemand etwas von einer erschoss e nen Lehrerin oder einer erschlagenen älteren Dame mit sozialen Neigungen berichtete, beruhigten sich Billys Nerven allmählich. Im verschlafenen Vineyard Hills, im friedlichen Napa-Tal, hätte sich die Nachricht von einem brutalen Mord wie im Flug verbreitet. Offenbar handelte es sich bei dem Zettel doch um einen üblen Scherz.
Nach einem
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