Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt
oder schutzlose Menschen zerfleischten. Welch verschwenderische Spektakel wurden außerdem inszeniert, welch aufwendige Seeschlachten und farbenprächtige Götterspektakel in Arenen nachgestellt, um das Volk zu zerstreuen! Und wenn die Römer dann spektakulär unterhalten nach Hause gingen, bereiteten sie sich aus Lebensmitteln, die sie kostenfrei bekamen, aufwendige Speisen und schlugen sich bei Gelagen die Bäuche voll. Aber entspricht dieses Bild der Wirklichkeit im alten Rom oder handelt es sich um ein Zerrbild? Wenn den antiken Historikern schon in ihrer Darstellung der Kaiser nicht recht zu trauen ist, liegt die Sache mit der Verurteilung des Juvenal vielleicht ganz ähnlich? Wie so oft in der Geschichte der Menschheit sind die einfachen Leute der römischen Antike in den zeitgenössischen Schriften deutlich unterrepräsentiert – kann man solchen eher spärlichen Einlassungen also kritiklos folgen? Außerdem: Wenn sie denn Erwähnung finden, sprechen daraus häufig Vorurteile und Vorbehalte der »besseren« Schichten gegenüber den »niederen« – Juvenal war da keine Ausnahme. Selbst moderne Geschichtswissenschaftler müssen sich diese Kritik gefallen lassen, auch sie identifizierten sich lange Zeit mit der Oberklasse, der die Entscheidungsträger entstammten, und übernahmen voller Ressentiments und Desinteresse die alten Einschätzungen, ohne der Sache auf den Grund zu gehen. »In Rom gab es 150000 notorische Faulenzer, die von der öffentlichen Hand großzügig unterstützt wurden«, schrieb ein Historiker Mitte des 20. Jahrhunderts, und ein anderer: »Verführt von Demagogen und Zuwendungen, war dem römischen Volk die Kaiserzeit und die Versorgung mit Brot und Spielen hochwillkommen.«
Die Ernährung der meisten Römer war im Grunde mediterran-bodenständig. Der viel zitierte Luxus bei Tisch kam ungefähr ab dem 2. vorchristlichen Jahrhundert auf und wurde seit Caesars Zeiten immer raffinierter – aber natürlich nur für diejenigen, die sich diesen Luxus auch leisten konnte, und das war nur eine winzige Minderheit. Die Mehrheit begnügte sich auch weiterhin mit meist drei Hauptmahlzeiten, von denen die abendliche schon damals die wichtigste war und im Allgemeinen drei Gänge umfasste. Es gab aber auch viele Ärmere, die sich in Ermangelung eigener Möglichkeiten außer Haus in einfachen Garküchen höchst frugal versorgten. Die wichtigsten Grundnahrungsmittel waren Getreide, Olivenöl und Wein – schon wegen der guten Lagerfähigkeit. Fleisch kam für die Mehrheit der Bevölkerung selten bis nie in den Topf.
Rom war seit der Gründung 753 v. Chr. von einem Häufchen Siedlungen am Tiber zur wohl größten vormodernen Stadt überhaupt geworden – mit vermutlich rund einer Million Einwohner. Parallel zum Aufstieg zunächst zur mächtigsten Stadt des italienischen Stiefels und dann eines riesigen Weltreiches, das von England bis Ägypten, von Gibraltar bis Syrien reichte, wuchs Rom, zog von überallher Zuwanderer an und hatte mit dem eigenen Erfolg ebenso zu kämpfen wie das Imperium als Ganzes. Die Versorgung der Metropole stellte keine leichte Aufgabe dar, zumal ohne die Segnungen moderner Technik, Logistik oder Landwirtschaft. Spätestens im Übergang von Republik zur Kaiserzeit konnte die Belieferung mit Lebensmitteln, aber auch mit Baumaterial und Holz nicht mehr regional bewerkstelligt werden. Was an Nahrungsmitteln für die hungrige Hauptstadt gebraucht wurde, gaben die Böden nicht einmal der weiteren Umgebung her. Für die Versorgung der Hauptstadt allein mit den drei genannten Grundnahrungsmitteln wurde bei einer Bevölkerungszahl von einer Million der Bedarf an Transportkapazität auf rund 1700 Schiffsladungen pro Jahr geschätzt – nur für diese Güter. Sie kamen nunmehr überwiegend aus Sizilien und Sardinien sowie Nordafrika, insbesondere Ägypten, das als Kornkammer des Reiches galt.
Aufgrund des schieren Umfangs und der weiten Transportwege war die Versorgungslage stets gefährdet: durch Missernten, Naturkatastrophen, Piraterie, Kriege oder Korruption. In solchen Fällen kam es in Rom immer wieder zu Revolten des einfachen Volkes, das schon bei leichten Preissteigerungen in Schwierigkeiten geriet. Da lag es im Interesse von Politik und Verwaltung, eine bessere, möglichst krisensichere Versorgung zu moderaten Preisen zu gewährleisten. Als man sich des Problems annahm, war aus dem Römischen Reich inzwischen eine oligarchisch organisierte Demokratie geworden. Stabile
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