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Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt

Titel: Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Interventionen des Publikums, das Tod oder Leben eines Gladiatoren forderte, aber der Volkswille konnte auch andere Inhalte haben: Tiberius sah sich gezwungen, auf Protest der Zuschauermassen im Circus die Getreidepreise zu senken, Nero hielt man die hohen Steuern vor. Auch ließ das Volk manchen unpopulären Politiker über die Klinge springen, mitunter musste spontaner Volkszorn sogar blutig unterdrückt werden. Da Politiker und Kaiser um die Notwendigkeit und Bedeutung der Spiele, aber auch ihre Gefahr wussten, kannten sie auch stets den schnellsten Weg zum gesicherten Ausgang und wurden von Leibwächtern begleitet.
    Für die Spiele wurde ein beträchtlicher, schließlich völlig übersteigerter Aufwand getrieben. Für die Politiker, Feldherren und Kaiser, die die immer teurer werdenden Inszenierungen finanzierten, war der Tribut ans Volk ebenso eine Frage des Prestiges. Die reichen Veranstalter wollten sich gegenseitig übertrumpfen, und natürlich erwartete auch das Publikum, dass die nächsten Spiele den vorangegangenen noch eins draufsetzen würden. Handelte es sich anfangs noch um Theateraufführungen und Wagenrennen, die auch keineswegs täglich stattfanden, wurden ab 264 v. Chr. Gladiatorenkämpfe ausgerichtet. Achtzig Jahre später kamen Hetzen mit exotischen Tieren hinzu, deren Herkunft nebenbei noch verdeutlichte, welche Ausdehnung das Imperium erreicht hatte. Julius Caesar ließ für seine Spiele 46 v. Chr. über tausend Tiere aus entfernten Provinzen verschiffen, darunter mehrere Dutzend Elefanten, ein Nashorn und die ersten Giraffen, die die Römer je zu Gesicht bekamen. In der Kaiserzeit wurde es immer irrwitziger. Der Zwang zur Steigerung verlangte nach immer neuem Nervenkitzel – während schon Caesar Hunderte Gladiatoren in den Todeskampf schickte, waren es bei der Eröffnung des Kolosseums bereits Tausende, unter Kaiser Trajan angeblich Zehntausende, die in der Arena um ihr Leben fochten.
    Im Rückblick betrachtet waren die Spiele, wie es der Althistoriker Karl Christ ausdrückte, »der Preis und der Ausdruck der politischen Neutralisierung der Affekte der römischen Bevölkerung«. Der berühmte Pantomime Pylades wies Kaiser Augustus einmal auf die gesellschaftliche Rolle seiner Zunft hin: »Es ist von Vorteil, Caesar, dass das Volk sich mit uns beschäftigt.« Nur wer nicht sündigt, wer schläft, begehrt auch nicht auf, wer gut unterhalten wird – dieses Kalkül legen Machthaber immer wieder an. Eben das beklagte Juvenal in seiner eingangs zitierten Satire: dass das Volk sich mit schnöden Zerstreuungen stillhalten ließ. In seinen Augen war dies ein Bestandteil des betrüblichen Niedergangs Roms. Juvenals Spott ist daher weniger konkrete Darstellung als allgemeine Kulturkritik.
    Es ist also zutreffend, dass die Römer von kostenlosen Lebensmitteln profitierten und mit immer aufwendigeren Spielen unterhalten wurden – beliebt waren sie übrigens bei allen Schichten gleichermaßen. Wenn wir aber dem einfachen Volk der Stadt Rom Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen, genügt ein wenig Mathematik: Abgesehen davon, dass weite Bevölkerungsteile gar nicht in den Genuss der Vergünstigungen kamen, reichte das kostenlose Getreide ausschließlich auch der römischen plebs nicht – der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Auch der übrige Lebensunterhalt wie Kleidung und Wohnung musste irgendwie bestritten werden. Und die Lebenshaltungskosten in Rom waren, obwohl man zumeist mit miesen Behausungen vorliebnehmen musste, exorbitant; Sozialleistungen wie Arbeitslosenhilfe gab es dagegen nicht. Die »kleinen Leute« gingen durchaus arbeiten und verbrachten ihre Tage keineswegs ausschließlich bei Circusspielen. Rom war alles andere als eine faule Stadt des Müßiggangs, im Gegenteil: Handel und Gewerbe florierten, die Menschen waren geschäftig, vor allem in der Baubranche. Und dann: Wären die Arenen und Theater stets voll gewesen, hätten ihre Kapazitäten gleichwohl nur für rund drei Prozent der Bevölkerung ausgereicht. Immerhin fünf Prozent passten zwar ins Kolosseum, jedoch waren neunzig Prozent der dortigen Plätze für die Oberschicht reserviert. In die größte Arena schließlich, den Circus Maximus, passten beachtliche 200000 Menschen, aber dort wurden zu Augustus’ Zeiten nur an rund zwanzig Tagen im Jahr Rennen ausgetragen. Selbst im 4. Jahrhundert waren von insgesamt 177 Veranstaltungstagen nur zehn für Gladiatorenspiele, 66 für Wagenrennen und 101 Tage für

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