Irrweg Grundeinkommen
bislang. Denn es ist nicht vorstellbar, dass eine Systemumstellung mit der Behauptung durchgeführt wird, allen am Rande der Gesellschaft Stehenden ohne Ansehen ihres eigenen Potentials zu helfen, während De-facto-Benachteiligten durch Pauschalregelungen die Finanzierung ihres überdurchschnittlichen Bedarfs zum Überleben gekappt wird. 23 Umso erstaunlicher ist es, dass einige Grundeinkommensmodelle die soziale Sicherung praktisch dadurch privatisieren, dass sie unzureichende soziale Absicherung vorsehen.
Soll darüber hinaus die Situation von Hartz-IV-Empfängern und Beschäftigten, die derzeit mit Hungerlöhnen abgespeist werden, durch ein Grundeinkommen spürbar verbessert werden, muss das Transfervolumen steigen. Selbst wenn man unterstellt, dass Steuervorteile des Ehegattensplittings, Vorteile der beitragsfreien Mitversicherung in der Krankenversicherung oder Beitragsbemessungsgrenzen des bisherigen Sozialversicherungssystems in einem Grundeinkommenssystem entfallen, dürften dadurch entstehende Einsparungen in keiner Weise ausreichen, den genannten Zusatzbedarf auch nur annähernd zu decken.
Erweiterungen der Bemessungsgrundlage für Steuern und Abgaben und eine Steigerung der Progression zur Verbesserung der Einnahmesituation des Staates sind auch im jetzigen System bedingter Transfers möglich und könnten insgesamt – sogar bei einer angemesseneren Berechnung des Existenzminimums, das heißt einer Steigerung der Hartz-IV-Sätze – geringer gehalten werden als in einem Grundeinkommenssystem. Schon heute aber sind die Widerstände gegen eine stärkere Heranziehung der Einkommensstarken zur Finanzierung von Transfers und anderen öffentlichen Aufgaben groß. Sie werden noch viel heftiger ausfallen, wenn ein größeres Umverteilungsvolumen angestrebt wird, zumal dessen Begründung nicht zu leugnende Gerechtigkeitsdefizite aufweist, wie sie oben diskutiert wurden.
Zeigt sich nach der Einführung eines Grundeinkommenssystems erst einmal die systemimmanente Instabilität dieser Art der Transferaufbringung und -verteilung, dürfte sofort eine Diskussion um die Höhe der Transfers einsetzen. Am Ende werden die heutigen Transferempfänger, die ja gute Gründe für ihre Transferansprüche haben, die Verlierer sein. Denn es dürfte über kurz oder lang zu einer Senkung der Grundeinkommenshöhe kommen, ohne dass garantiert ist, dass auch die Art der Aufbringung der Mittel wieder stärker progressiv gestaltet wird. Alle heutigen Vertreter der These, die meisten staatlichen Transfers stellten eine soziale Hängematte für Arbeitsunwillige dar, werden sich in ihrer undifferenzierten Haltung bestätigt fühlen, womöglich Zulauf erhalten und dafür plädieren, die Daumenschrauben fester anzuziehen, sprich: die Bedingtheit von Transfers in verschärfter Form wieder einzuführen und die Leistungshöhe radikal zu kürzen.
Von Befürwortern des Grundeinkommens wird das parteiübergreifende Interesse an Grundeinkommensmodellen als Indiz dafür gewertet, dass es letzten Endes allen gesellschaftlichen Gruppen zugute käme oder zumindest nach seiner Einführung von allen Seiten akzeptiert würde, weil es sonst nicht Anhänger in einem so breiten Spektrum politisch engagierter Menschen fände. Ein Zurückfallen in alte oder sogar verschärfte Muster der Ausgrenzung sei schon aus diesem Grund unwahrscheinlich. Dem ist entgegenzuhalten, dass Logik und gesamtwirtschaftliche Rationalität längst nicht automatisch parteiübergreifenden Zuspruch finden, wie man etwa an der Umweltschutzpolitik sehen kann. Wohlmeinende aus allen politischen Lagern können auch gemeinsam irren, selbst wenn ihnen keine offensichtliche Klientelpolitik unterstellt werden kann. Zudem wäre es nicht das erste Mal in der Geschichte, dass sich Menschenfreundlichkeit und soziales Engagement Reformwilliger von weniger Uneigennützigen kanalisieren lassen, die clever und gerissen genug sind, die wahrscheinlichen Ergebnisse von Reformen besser vorherzusehen und ihren Vorteil darauszu ziehen zum Schaden derjenigen, die ursprünglich Zielgruppe »gutgemeinter« Reformen waren.
Wieso stellen sich die Advokaten des Grundeinkommens, denen das Wohlergehen der Menschen in den unteren Einkommensschichten tatsächlich oder vielleicht auch nur scheinbar am Herzen liegt, nicht hinter Maßnahmen, die die Situation dieser Menschen unmittelbar verbessern würden, ohne dass sich alle auf einen Systemwandel einlassen müssen mit zumindest schwer abschätzbaren, wenn nicht,
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