Irrweg Grundeinkommen
überhaupt Leute zu finden, die sie verrichten, nicht ganz so groß, aber tendenziell immer noch höher als im gegenwärtigen System.
Ein zweiter wichtiger Aspekt der Anreizsituation betrifft die steuerliche Belastung von Erwerbsarbeit oder der mit ihr hergestellten Produkte zur Finanzierung des Grundeinkommens: Je höher diese Belastung ausfällt, desto unattraktiver ist für jedermann die Erwerbsarbeit 19 beziehungsweise der Kauf von Produkten am Markt im Vergleich zur Selbstversorgung beziehungsweise Eigenproduktion. Diese Überlegung gilt ganz generell für jedes Umverteilungssystem. Muss in einem Grundeinkommenssystem mehr umverteilt werden als im gegenwärtigen System oder in einer reformierten Variante davon, dann verstärkt es die Tendenz zu legaler Steuervermeidung durch weniger Arbeitsteilung beziehungsweise mehr Autarkie. Ebenso sind Ausweichreaktionen anden geographischen Grenzen des Systems zu erwarten, etwa weil die Mehrwertsteuer von 100 Prozent im Werner-Modell auf Exporte entfällt und inländische Güter dadurch sehr preiswert für ausländische Käufer werden oder weil einfache Dienstleistungen von Ausländern deutlich billiger angeboten werden können als im Modell des emanzipatorischen Grundeinkommens.
Mit anderen Worten: Durch die Möglichkeit, ohne Erwerbsarbeit auf mehr oder weniger niedrigem Wohlstandsniveau zurechtzukommen einerseits und durch eine im Vergleich zu heute höhere Abgabenlast andererseits, entsteht in einem Grundeinkommenssystem für alle, ob arm oder durchschnittlich gut situiert, ein hoher Anreiz zur Autarkie: »Do it yourself« dürfte aller Voraussicht nach das am häufigsten erreichte Motivationsergebnis des bedingungslosen Grundeinkommens sein. Dieser absehbare Mechanismus wird dann gerade die Geringerqualifizierten vom Erwerbsleben noch mehr ausschließen, als es derzeit der Fall ist, weil die motivationsbedingt notwendige Lohnhöhe das Angebot entsprechender Arbeitsplätze senken würde. Denn jeder kann eben die Dinge am leichtesten selbst erledigen, zu denen man keine besondere Qualifizierung benötigt.
Folgen der Autarkie
Wie unter diesen Voraussetzungen die gegenwärtige Arbeitsteilung, die die Basis unseres Wohlstands ist, dauerhaft auf dem bisherigen hohen Niveau aufrechterhalten, geschweige denn weiter gesteigert werden kann, ist die zentrale Frage, auf die die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens keine Antwort haben.
Ist aber das hohe Wohlstandsniveau, das wir wenigstens im Durchschnitt unserer Gesellschaft dank Spezialisierung erreicht haben, nicht zu halten, vermindert sich auch die Grundlage für die Umverteilung. Zwar gibt es auch im gegenwärtigen Abgabensystem hier und da entsprechende Anreize zur Vermeidung von Arbeitsteilung, aber die dürften vergleichsweise gering sein. Das bedeutet, dass die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommensgenau das Versprechen untergräbt, aus dem es seine Attraktivität bezieht: nämlich, dass es den Menschen, die unter den heutigen Einkommensverhältnissen leiden, weil sie entweder von ihrer Hände Arbeit nicht leben können oder gar keine Arbeitsstelle bekommen, mit dem bedingungslosen Grundeinkommen dauerhaft besser ginge.
Mangel an Arbeit oder an Qualifikation?
Häufig wird als Begründung für das bedingungslose Grundeinkommen das Argument gebraucht, mittelfristig gehe die Erwerbsarbeit zwangsläufig zurück. So ist von einem Szenario die Rede, in dem 20 Prozent des Erwerbstätigenpotentials 80 Prozent der erforderlichen Güter und Dienstleistungen erzeugen könnten. 20 Das erscheint vielen als bedrohliche Perspektive, die die schon vorhandene soziale Not noch verschärft und die Befürchtung von Teilen der Mittelschicht, weiter in eine soziale Verelendung abzugleiten, verstärkt. Das ist aber grundlegend falsch, weil man ja, wie schon Karl Marx wusste, »morgens jagen … und abends kritisieren kann, ohne jemals Jäger oder Kritiker zu sein«. Wenn alle Menschen voll an den Fortschritten bei der Produktivität beteiligt werden, können sie ihren materiellen Lebensstandard verbessern oder ihre Arbeitszeit verkürzen und das tun, was ihnen Spaß macht. Mit Not hat das gerade nichts zu tun, wohl aber mit der richtigen Verteilung, wie wir in diesem Buch zeigen.
Richtig ist, dass der technologische Fortschritt in vielen Wirtschaftsbereichen laufend komplexere Anforderungen an die Beschäftigten stellt, weil einfache Arbeiten wegrationalisiert werden, die Konstruktion der für den Fortschritt benötigten
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