Irrweg Grundeinkommen
bemüht – und zwar von Seiten des Staates ebenso wie von Seiten der Unternehmen. Die Diskussion um Niedriglöhne kam erst auf, als sich nach den beiden Ölpreiskrisen die Arbeitslosigkeit nicht mehr auf Vorkrisenniveau abbaute, und gewann an Fahrt, als die deutsche Wiedervereinigung wegen verfehlter Wirtschaftspolitik neue Schübe an Arbeitslosigkeit mit sich brachte. Je länger diese Situation anhielt, desto mehr wurde in der Öffentlichkeit den Löhnen die Rolle der Verursacher von Arbeitslosigkeit zugeschrieben. Diese simple Erklärungsschablone eignet sich wegen ihrer vordergründigen einzelwirtschaftlichen Logik hervorragend, die Arbeitnehmer unter Druck zu setzen. Das Zusammenwirken von Ölpreisschocks, Lohn- und Geldpolitik sowie Wechselkursen und erst recht die ökonomischen Zusammenhänge beim Strukturbruch in der ostdeutschen Wirtschaft nach1990 sind hingegen komplexer und vor allem nur gesamtwirtschaftlich erklärbar, so dass eine breite argumentative Gegenwehr auf Arbeitnehmerseite viel schwerer zu entwickeln war und ist, zumal die wirtschaftswissenschaftliche Beratung auf breiter Front versagt hat.
Marktmechanismus bei Arbeitslosigkeit erzeugt Abwärtsspirale
Doch wie funktioniert der makroökonomische Zusammenhang, der die Kritik am Mindestlohn entkräftet und den Kombilohn schachmatt setzt? Herrscht Arbeitslosigkeit, ist die Gruppe der geringqualifizierten Arbeitskräfte immer die am negativsten betroffene, wie oben bereits im Abschnitt »Mangel an Arbeit oder an Qualifikation?« erklärt wurde. Damit ist sie automatisch auch die durch den simplen Marktmechanismus erpressbarste Gruppe. Die beste Hilfe für diese Personengruppe besteht deshalb darin, es gar nicht erst zu einer gesamtwirtschaftlichen Nachfrageschwäche kommen zu lassen oder sie immerhin so schnell wie möglich abzustellen oder wenigstens abzufedern. Qualifizierung ist – ganz unabhängig von der konjunkturellen Situation – immer sinnvoll, aber damit beseitigt man keine gesamtwirtschaftliche Nachfrageschwäche.
Man stelle sich einmal vor, man habe in einem großen gesellschaftlichen Kraftakt alle Geringqualifizierten zu Ärzten, Rechtsanwälten, Ingenieuren und Bankern ausgebildet und nun komme die nächste Rezession, zum Beispiel ausgelöst durch eine Immobilienkrise in China und einen dadurch einbrechenden Welthandel. Was wird geschehen? Nun, es wird eine Reihe arbeitsloser Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure und Banker geben und viele arbeitslose Handwerker, Fachverkäufer, Versicherungsangestellte und qualifizierte Industriearbeiter. Die relativ weniger Qualifizierten wird es wie schon vor dem Qualifizierungskraftakt mehr treffen als die höher Qualifizierten, aber das insgesamt gestiegene Qualifikationsniveau der Bevölkerung wird die Rezession und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit nicht verhindern. Nur die Verteilung der Rezessionsfolgen hat sich verschoben weg von denzuvor gering Qualifizierten und jetzt gut Ausgebildeten hin zu den auf der zweituntersten Qualifikationssprosse Stehenden. Die Höhe des Lohns auf dieser zweituntersten Sprosse ist für die negative Entwicklung nicht verantwortlich: Der Lohn ist weder die Ursache der Krise, noch beinhaltet seine Senkung die Lösung. Ganz im Gegenteil, seine Senkung verschärft die Lage, weil die gesamtwirtschaftliche Nachfrageschwäche auf diese Weise ausgedehnt und womöglich zementiert wird.
Doch weil es für jeden einzelnen – Arbeitnehmer wie Arbeitgeber – in wirtschaftlich schwierigen Zeiten rational ist, billiger anzubieten als die Konkurrenz, um Nachfrage auf sich zu ziehen und damit der Flaute zu entgehen, gerät bei hoher Arbeitslosigkeit das Lohnniveau automatisch unter Druck. Dass das allen zusammen schadet, kann der einzelne bestenfalls erkennen, dagegen etwas unternehmen kann er als einzelner aber nicht. Der simple Marktmechanismus kennt bei Arbeitslosigkeit, also wenn die Verteilung der Verhandlungsmacht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern besonders ungleich ist, daher aus sich selbst heraus keine Grenze nach unten. Folglich führt dieser Mechanismus die Gesamtwirtschaft, ist sie erst einmal auf die schiefe Bahn geraten, in eine Abwärtsspirale ohne Ende, solange ihm kein Gegenpol entgegenwirkt. Dieser Gegenpol kann in einer Rückkehr zu stabilen Nachfragebedingungen durch verstärkte Staatsausgaben oder zunehmende Auslandsnachfrage bestehen. Gibt es die nicht und wird beides sogar durch eine verfehlte Wirtschaftspolitik aktiv verhindert wie derzeit, dann
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