Irrwege
aus und warf sie Haplo
zu. Er deckte sie über den Kompaßstein.
Die Runen auf dem Todesdolch verströmten ein
giftig grünes Leuchten. Der Hund, anscheinend unverletzt und von Neugier
gepeinigt, mußte daran schnuppern. Sein Nackenfell sträubte sich, und er tat
erschreckt einen Satz nach hinten.
Haplo blickte zur Decke auf. Er erinnerte sich
an das letzte Mal, als er auf Chelestra gewesen war – sein Schiff brach
auseinander, die Runenmagie versagte, Wasser sickerte durch die Fugen und
Ritzen. Er hatte es nicht glauben können, fluchte, tobte, schloß mit dem Leben
ab. Jetzt betete er um einen Tropfen.
Da! Ein winziges Rinnsal schlängelte sich am
Schott herunter.
»Hugh!« Haplo sah den Assassinen an. »Nimm den
Dolch! Halt ihn ins Wasser!«
Hugh Mordhand rührte sich nicht. Er kauerte wie
gelähmt an der Schiffswand und stierte entsetzt auf das eindringende Wasser.
Das Wasser. Haplo schalt sich einen Dummkopf.
Der Mensch kam von einer Welt, wo man um Wasser Kriege führt; ein Eimer der
kostbaren Flüssigkeit bedeutete Reichtum. Er hatte zweifellos nie in seinem
Leben so viel Wasser gesehen. Schon gar nicht als eine ungeheure Faust, die
sich um das Schiff ballte und es langsam, aber sicher zerquetschte.
Vielleicht gab es in der Nichtigensprache von
Arianus kein Wort für Ertrinken, aber Hugh Mordhand brauchte kein Wort, um sich
einen solchen Tod in lebhaften Farben ausmalen zu können. Haplo verstand seine
Gefühle, ihm war es ebenso ergangen.
Die Panik, das Gefühl zu ersticken, die
berstenden Lungen. Sinnlos, dem Assassinen erklären zu wollen, daß das Wasser
Chelestras sich atmen ließ wie Luft. Sinnlos, ihm zu erklären, daß sie, wenn
sie schnell handelten, Chelestra schon wieder verlassen haben konnten, bevor
das Zerstörungswerk zu weit fortgeschritten war. Sinnlos, ihn zu erinnern, daß
er nicht sterben konnte. Wie die Dinge standen, war ausgerechnet das eine
weniger beglückende Vorstellung.
Ein Wassertropfen aus einem der sich weitenden
Risse fiel Hugh aufs Gesicht. Er schrak zusammen und stieß einen hohlen Schrei
aus.
Haplo stolperte über das schlingernde Deck. Bei
dem Assassinen angelangt, krallte er ihm die Hand in die Schulter. »Der Dolch!
Nimm ihn!«
Kaum daß er ausgesprochen hatte, flog die Waffe
durch die Luft und schmiegte sich in Hughs Hand. Er hatte seine Form nicht
verändert, aber das grüne Leuchten war stärker geworden. Hugh Mordhand starrte
sie an, als hätte er sie nie zuvor gesehen.
Haplo wich rasch ein paar Schritte zurück.
»Hugh!« Der Patryn bemühte sich verzweifelt, die
Barriere des Grauens um den Verstand des Mannes zu durchbrechen. »Wirf das
Messer ins Wasser!«
Ein Aufschrei Marits ließ ihn herumwirbeln.
Sie deutete aus dem Bullauge, ihr Gesicht war
kreidebleich. »Was – was ist das?«
Eine schleimige Flüssigkeit wie eine Wolke aus
Blut trübte das kristallklare Aquamarinblau des Wassers. Zwei grünlichrot
schillernde Augen spähten zu ihnen herein; Augen, die größer waren als das
Schiff. Zahnlose Kiefer öffneten sich zu einem stummen, hämischen Lachen.
»Die Drachenschlangen in ihrer wahren Gestalt«,
erhielt sie von Haplo zur Antwort.
Der Dolch. Deshalb hatte der Todesdolch nicht
seine Gestalt verändert. Es bestand für ihn keine Notwendigkeit, sich zu
verwandeln. Er hatte das größte Übel der vier Welten angelockt und zu seinem
Helfershelfer gemacht.
Marit konnte den Blick nicht abwenden. Langsam
schüttelte sie den Kopf. »Nein. Das glaube ich nicht… Xar würde es nicht
zulassen…« Sie stockte, flüsterte vor sich hin: »Aber die roten Augen…«
Haplo sagte nichts. Er wartete, daß das
Ungeheuer sich auf sie stürzte, das Schiff zerschmetterte, die erbärmlichen
Lebewesen verschlang.
Aber die Drachenschlange tat nichts dergleichen,
und schließlich begriff Haplo. Ich mäste mich an deiner Furcht, hatte
Sang-drax zu ihm gesagt. An Bord dieses Schiffes gab es genug Angst und Haß und
Mißtrauen, um eine Legion dieser Kreaturen zu mästen. Und während das Schiff
langsam auseinanderfiel, brauchte die Drachenschlange nur abzuwarten, bis die
magischen Kräfte ihrer Opfer erlahmten und sie ihr hilflos ausgeliefert waren.
Um so größer war das Entsetzen, wenn die Galgenfrist verrann.
Ein Knacken, ein Krachen und ein berstendes Geräusch
weiter hinten im Schiff. Wasser tropfte auf Haplos Hand. Die Sigel, die beim
Auftauchen der Drachenschlange blau und rot geleuchtet hatten, begannen
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