Isarhaie: Der vierte Fall für Max Raintaler (German Edition)
Soweit zu dem Irrenhaus, in dem die
Menschen herumturnten. Oder hatte der Dreckskerl Max mit voller Absicht
überfahren wollen? Schmarrn. Wie hätte der ihn denn abpassen wollen? Das war schließlich
ein Linienbus. Selbst wenn er von einem Komplizen hier in der Nähe per Handy
erfahren hätte, das Max gerade den Inder verlassen hatte, wäre das unmöglich zu
bewerkstelligen gewesen. Außer es wäre ein extra angemieteter oder gestohlener
Bus gewesen. Aber es waren ja Fahrgäste darin gesessen, wie Max hatte erkennen
können. Außerdem, ein bisschen viel Aufwand, um jemanden umzubringen. Oder?
Nein, nein. Das war wohl eher ein komplett gestörter städtischer Busfahrer des
MVV, vielleicht sogar ein ansonsten total gemütlicher Familienvater, der seinem
Frust ein bisschen Luft machen wollte. Zur Not auch auf Kosten einer
vorsätzlichen Tötung. Nichts weiter. Max schüttelte ärgerlich und nach wie vor
geschockt den Kopf. Nicht einmal das Nummernschild hatte er sich gemerkt, weil
alles so schnell gegangen war.
Man
sollte dauerhaft eine Waffe tragen, dann hätte er diesem kriminellen Deppen in
die Reifen schießen können, und wenn er angehalten hätte, wäre er hingerannt
und hätte ihm die Knarre in den Mund geschoben und ihn gefragt, ob er
eigentlich gern lebe oder nicht. Hätte, hätte, hätte, scheißegal, dachte er.
Ich habe es ja Gott sei Dank überlebt. Nächstes Mal passe ich besser auf und
merke mir das Nummernschild. Was soll’s? Zum zweiten Mal an diesem Tag fragte
er sich, weshalb sich München eigentlich den Ruf einer ›Weltstadt mit Herz‹
verdient haben sollte. Mit seinen städtischen Busfahrern konnte das auf jeden
Fall nicht zusammenhängen. So viel war sicher.
Während
er gemütlich unter den Laternen entlang des Isarufers weiterschlenderte, hörte
er auf einmal Schritte hinter sich. Sie kamen langsam näher. Das nächste
Attentat auf ihn? War es jetzt so weit? Wollte man ihn endgültig umbringen? Er
begann zu schwitzten. Die ganze Situation wuchs ihm immer mehr über den Kopf.
Er war normalerweise ein gutmütiger Mensch, der sich mit seinen Freunden
verstand, Sport trieb, Gitarre spielte und sang und niemandem etwas Böses
wollte. Im Moment jedoch änderte sich das. Seine Nerven spannten sich an, wie
die Drahtseile, auf denen die Seiltänzer im Zirkus immer herumtanzten. Er war
zu allem bereit. Im Notfall würde er jetzt, um sein eigenes Leben zu retten,
auch töten. Ganz langsam drehte er sich um und entdeckte ungefähr 30 Meter
entfernt eine schemenhafte Gestalt. Er blieb unauffällig im Schatten eines
Baumes stehen, tat so, als suchte er etwas in seinen Taschen, ließ sie näher
kommen. Dann war sie fast auf seiner Höhe. Er blickte auf und wollte nicht
glauben, was er sah. Das war doch nicht möglich. War sie es wirklich? Oder setzten
die Spätfolgen der K.-o.-Tropfen jetzt doch noch ein? Nein, sie war es
tatsächlich. Irrtum ausgeschlossen. Gesine Sandhorst, Wollers Sekretärin und
Geliebte, fesch gekleidet in kurzem weißem Rock und hellgrauem Jackett. An den
Füßen trug sie cremefarbene Pumps mit halbhohen Absätzen. Sie kam immer näher
und ging, ohne ihn zu beachten, an ihm vorbei. Bestimmt erkannte sie ihn im
Dunkeln nicht. Was wollte die denn um diese Zeit hier? War sie es gewesen, die
ihm vom Biergarten bis zum Südfriedhof nachspioniert hatte? Gab es wirklich so
etwas wie Zufall? Oder folgten all unsere Schritte irgendwelchen unerklärlichen
vorbestimmten Wegen, von denen keiner von uns jemals die Gelegenheit bekam
abzuweichen?
»Frau
Sandhorst? Sind Sie das?«, fragte er ins Dunkel hinein.
Sie
blieb stehen. »Wer will das wissen?«, fragte sie zurück, während sie anhielt
und sich langsam umdrehte. »Vorsicht. Ich bin bewaffnet.« Sie hielt eine
längliche Dose in der Hand.
Wahrscheinlich
Pfefferspray, sagte sich Max. Gegen den hirnamputierten Busfahrer vorhin hätte
ihr das aber auch nicht viel geholfen. »Keine Angst, Gesine. Wir kennen uns.
Ich bin’s, Max Raintaler!«, rief er ihr zu.
»Herr
Raintaler? Der müffelnde Detektiv vom Viktualienmarkt? Sind Sie es wirklich?«
Zögernd machte sie ein paar Schritte auf ihn zu und blieb in ausreichendem
Sicherheitsabstand wieder stehen.
»Ja,
ich bin es wirklich. Und ich stinke nicht mal mehr. Höchstens nach indischem
Essen und Bier.« Max trat langsam unter das Licht der nächststehenden
Straßenlaterne. Er grinste sie mit weit ausgebreiteten Armen an, um gleich mal
klarzustellen, dass er auf jeden Fall nicht bewaffnet
Weitere Kostenlose Bücher