Isarhaie: Der vierte Fall für Max Raintaler (German Edition)
Durchschnaufen, Gott sei Dank. Da er
sich für die große Tagespolitik noch nie besonders interessiert hatte – er war
der Meinung, dass da sowieso immer nur dasselbe in wechselnden Verkleidungen
diskutiert wurde – , begann er mit dem Lokalteil. Sein Handy machte sich bemerkbar.
»Raintaler!«
»Grüß
Gott, Herr Raintaler«, meldete sich eine freundliche Frauenstimme am anderen
Ende. »Weber ist mein Name. Ich rufe vom Schwabinger Krankenhaus an. Kennen Sie
einen Wilhelm Breitensteiner?«
»Den
Willi? Ja, warum?«
»Ich
habe vorhin Ihre Visitenkarte in seiner Hosentasche gefunden.«
»Was
ist denn mit ihm? Ist ihm etwas passiert?«
»Herr
Breitensteiner ist vorgestern Abend hier bei uns gestorben, Herr Raintaler.«
Ihre Stimme klang mitfühlend.
»Tot?
Aber wie denn?« Max hatte das Gefühl als träfe ihn eine Faust in der
Magengrube.
»Ich
glaube, es war ein Herzinfarkt, Herr Raintaler. Der Arzt auf der
Intensivstation konnte jedenfalls nichts mehr für ihn tun.«
»Vorgestern?
Und da melden Sie sich erst jetzt?«, entfuhr es Max erstaunt und ärgerlich
zugleich.
»Ich
sollte gerade seine Kleider entsorgen. Da ist ihre Visitenkarte aus der
Hosentasche gerutscht. Und da dachte ich, ich rufe sie an. Inoffiziell
sozusagen. Verwandte hatte Herr Breitensteiner ja keine mehr.«
»Na
gut, vielen Dank, Frau Weber. Das ist wirklich nett von Ihnen.« Max befleißigte
sich eines freundlicheren Tones. Sie hätte mich schließlich gar nicht anrufen
müssen, dachte er.
»Gerne,
Herr Raintaler. Die Beerdigung ist übrigens heute um 11.30 Uhr auf dem
Ostfriedhof.«
»Das
geht aber schnell.«
»Ja.
Wenn alle Papiere in Ordnung sind, geht das manchmal eben ganz schnell.«
»Aha.
Gut, Frau Weber. Vielen Dank für Ihren Anruf.«
»Gerne,
Herr Raintaler. Auf Wiederhören.«
»Wiederhören.«
Max legte auf.
Herrschaftszeiten,
der Willi tot. Aber ich wollte ihm doch helfen. Er sollte doch zu Josef ziehen,
und Geld hätte ich ihm auch gegeben, bis er wieder auf die Beine gekommen wäre.
Scheißsauferei! Scheißgesellschaft! Scheißwelt! Die Tränen stiegen ihm in die
Augen. Schniefend sah er zum Fenster hinaus, wo gerade der Sendlinger-Tor-Platz
an ihm vorüberglitt. Halb zwölf auf dem Ostfriedhof! Da würde Willi nicht weit
vom Rudolf-Mooshammer-Mausoleum liegen, der sich, bevor er umgebracht wurde,
immer so engagiert um die Obdachlosen gekümmert hat. Er blickte auf die Uhr der
Matthäuskirche. Halb elf. Das würde er locker schaffen. Da konnte er gleich
sitzen bleiben und bis zum Ostfriedhof weiterfahren. Der Espresso und Traudi
würden warten müssen. Das hier war wichtiger. Keine Frage. Er rief Franz und
Josef an und gab ihnen Bescheid. Beide versprachen, sich in Windeseile
aufzumachen. Sie verabredeten sich vor dem Eingang zum hinteren Teil des
Friedhofs, wo die Bestattung stattfinden würde. Das werden wir noch sehen, ob
der Willi nicht wenigstens ein schönes Kreuz mit seinem Namen drauf bekommt,
sagte sich Max, und wenn ich persönlich von Marias 200.000 Euro für ein
anständiges Grab sorgen muss.
Die 17
überquerte die Isar, an deren Ostufer, wie gewöhnlich an heißen Tagen wie
heute, die Sonnenhungrigen wie die Ölsardinen nebeneinander lagen und sich
einen schönen Lenz machten. Hatten die alle keine Arbeit? Oder Urlaub?
Unglaublich, wie viele Menschen in dieser Stadt Zeit zum Nichtstun hatten.
Mensch, Willi. Ausgerechnet jetzt wo ich dir helfen wollte, muss dich der
Gevatter Tod holen, haderte Max. Ist Moni etwa auch tödlich? Hat sie mir den
Kerl auf den Hals geschickt, der mich vorhin vor die Tram geschubst hat?
Schwachsinn, so etwas würde sie nie tun. Was bin ich manchmal bloß für ein nachtragender
Volldepp. Sie mag einen eigenen Kopf haben und manchmal auch verdammt unfair
sein, aber so etwas würde sie doch nie tun. Genauso wenig wie ich. Reiß dich
gefälligst zusammen, Raintaler.
Am
St.-Martins-Platz stieg er aus und spazierte gemütlich die St.-Martin-Straße
Richtung Nordosten zum hinteren Eingang hinüber. Er würde lange vor Franzi und
Josef dort sein, deshalb konnte er sich Zeit lassen. Kindheitserinnerungen
stiegen in ihm hoch. Er und Willi waren oft zusammen nach der Schule zu Max nach
Hause gegangen, in die große Fünfzimmerwohnung über dem Sendlinger Lokal seiner
Eltern. Erst hatte ihnen Max’ Mutter unten in der Wirtschaft zu essen gegeben,
dann schickte sie die beiden zum Hausaufgabenmachen in die Wohnung hinauf.
Natürlich hatten sie die Aufgaben jedes Mal nur schlampig im
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