Isarhaie: Der vierte Fall für Max Raintaler (German Edition)
wirklich ein Paradies, in dem Milch und
Honig flossen und wo einem die gebratenen Tauben in den Mund flogen. Und
hübsche Engel, in die man sich bis in alle Ewigkeit verlieben konnte,
existierten dort außerdem. Man fand neue Freunde, die einem zuhörten, mit einem
tranken und lachten, und die alten Freunde, die bereits vorausgegangen waren,
traf man wieder. Wenn das alles so war, dann hatte Willi es doch bestens
getroffen. Selbst die Hölle mit ihren wilden Sexorgien und endlosen Gelagen
schien keine schlechte Alternative zu seinem menschenunwürdigen Dasein hier auf
Erden zu sein. Und es war immer warm dort, wie man hören konnte.
»Hallo,
Max. Schläfst du?« Franz rüttelte ihn an der Schulter, bis er die Augen
aufschlug.
»Hey,
Franzi. Ich muss wohl eingenickt sein, habe über das Leben nachgedacht.« Er
rieb sich die Augen und gähnte ausgiebig.
»Dafür
hast du dir den richtigen Ort ausgesucht«, bemerkte Josef, der direkt hinter
Franz stand, mit einem kurzen Blick auf die Friedhofsmauer. »Ein Wunder, dass
du nicht umgefallen bist.«
So wie
es aussah, hatten er und Franz sich am Parkplatz vor dem Haupteingang getroffen
und waren dann zusammen zu Fuß hier hinter gekommen. In der nächsten Umgebung
konnte Max ihre Autos jedenfalls nicht entdecken. »Wieso? Ich hatte doch eine
perfekte Stütze.« Er zeigte auf den breiten Baumstamm, an dem er gerade gelehnt
hatte. »Servus, Josef, übrigens. Gehen wir rein?«
»Ja.
Bringen wir es hinter uns«, meinte Franz. »Im Prinzip mag ich keine Friedhöfe.
Es ist zu ruhig hier. Außerdem kommt man bloß auf dumme Gedanken. Zum Beispiel,
wie es wohl wäre, wenn man selbst zu Grabe getragen würde.«
»Bei
dir müsste es auf jeden Fall eine satte Erschwerniszulage für die Sargträger
geben.« Max deutete auf den imposanten Bierbauch seines alten Freundes und
Exkollegen. Er lachte laut los.
Josef
stimmte sogleich ein. »Und einen besonders hohen Sarg!«, rief er, sobald er
wieder Luft bekam. »Auf deine Wampen kriegt man doch keinen Deckel drauf. Außer
sie würden dir vorher die Luft rauslassen.«
»Deppen,
saublöde!«, raunzte Franz. Er drehte sich um und marschierte los. Da er
vorausging, konnten seine boshaften Freunde nicht sehen, dass er ebenfalls
breit vor sich hingrinste.
Als sie
bei der Aussegnungshalle ankamen, war es Punkt halb zwölf. Sie stiegen die
Treppen zum Eingang empor und stießen oben auf zwei unrasierte Männer in
abgewetzter Kleidung. Beide hatten prall gepackte, verschlissene Rucksäcke, aus
denen zahllose Stofffetzen heraushingen, auf dem Rücken und lächelten ihnen
zahnlos entgegen. Der Kleinere von ihnen hielt ein kleines Kofferradio in der
Hand. Der Größere trug auffällige rote Stoffturnschuhe ohne Schnürsenkel, die
an den Seiten aufgerissen waren.
»Grüß
Gott, die Herren. Kommen Sie etwa wegen dem Willi?«, wollte der Kleinere
wissen.
»Genau
wegen dem sind wir da«, erwiderte Max und reichte ihm die Hand.
»Och,
das ist aber schön. Dann sind wir nicht die einzigen.« Die Augen des kleinen
Mannes leuchteten erfreut auf. Ein breites Lächeln legte sich über sein
Gesicht. »Es müsste gleich losgehen.«
Sein
größerer Kumpel lächelte Max, Franz und Josef ebenfalls dankbar an. »Schön,
dass Sie gekommen sind. Der Willi war ein guter Mensch. Schwer in Ordnung. Er
hat mir oft geholfen. Einmal hat er mir sogar mitten im Winter seinen
Schlafsack gegeben, weil ich krank war.« Zwei dicke Tränen stiegen ihm in die
Augenwinkel. Zum Trost trank er einen großen Schluck aus der halb leeren
Wodkaflasche, die er in seiner linken Hand hielt, und gab sie anschließend an
seinen Freund weiter.
Der
trank ebenfalls und bot danach Max, Franz und Josef von dem wertvollen Nass an.
Franz und Josef lehnten gleich dankend ab. Max zögerte zuerst, dann sagte er
sich aber, dass Alkohol schließlich desinfizierte, und setzte den Flaschenhals
an seinen Mund. Allerdings nicht ohne vorher ein paar Mal gründlich mit seiner
Handfläche über die Öffnung gefahren zu sein, was im Prinzip nicht richtig war.
Denn auf diese Art verteilte man erst recht Bakterien darauf. Max wusste das
zwar, tat es aber aus einem unerklärlichen Reflex heraus trotzdem immer wieder,
wenn ihm eine fremde Flasche angeboten wurde. Danach begaben sich alle fünf in
das weiße Gebäude vor ihnen, in dem sich Willis Sarg befand.
Später
am Grab brachen Willis Freunde von der Straße hemmungslos in Tränen aus, was
unter anderem sicher auch dem Umstand zu verdanken war, dass
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