Isartod
Strangulationsmale an Fuß- und Handgelenken. Vielleicht hat sich deshalb die Haut an der Hand so leicht abgelöst. Die Leiche kann schon mehrere Wochen hier liegen. Fettwachsbildung tritt in der Regel nach vier bis sechs Wochen post mortem auf, infolge hydrolytischerSpaltung und Verflüssigung von Körperfett in Glycerin und Fettsäure. Wenn man nun …«
Interessiert betrachtete Mader die braunen Streifen an den Gelenken.
Auch Hummel und Zankl traten näher.
»Was das genau ist, können wir mit ein bisschen Glück noch klären. Könnte histologisch interessant sein.«
»Aha«, sagte Mader.
»Im Normalfall lässt sich im Bereich der Strangmarken eine erhöhte Histaminkonzentration nachweisen. Histamin wird durch Irritation der Hautzellen mittels des Strangwerkzeugs in der Strangfurche vermehrt freigesetzt. Wenn das jetzt am Hals wäre und sozusagen die Todesursache war, dann könnte man im Labor etwas über den Todeszeitpunkt erfahren. Aber Strangmale an den Extremitäten sind nicht tödlich. Beziehungsweise wissen wir nicht, ob sie in einem kausalen Zusammenhang mit dem Ableben stehen.«
»Aber man könnte bestimmen, wann sie entstanden sind?«
»Vielleicht. Obwohl … schwierig. Die Dame war recht lang im Wasser. Und eins ist auffällig. Die Narben sind so ausgeprägt, dass ich sagen würde, die sind relativ alt und immer wieder aufs Neue entstanden.«
»Sexspiele?«, fragte Zankl.
»Möglich. Eigentlich kennen wir das eher von autoerotischen Praktiken, die statt in Ekstase im Exitus gipfeln.«
»Schön gesagt«, meinte Mader. »Aber kriegen Sie raus, wie die Frau gestorben ist?«
»Wie gesagt, wenn ich die Leiche geöffnet habe, wissen wir mehr. Noch was ist auffällig – die Unterwäsche. Dieser Mix aus Latex und Spitze: vermutlich N. N. «
»N.N.?« , fragte Mader.
» Nuit Noire , eine sehr teure Dessousmarke. Was Spezielles. So ein bisschen Fetisch. So um die 500 Euro, die zwei Teile. Schätz ich mal.«
Mader nickte nachdenklich. »Was Sie alles wissen.«
Er wandte sich zum Gehen.
Hummel dagegen blieb wie angewurzelt stehen.
»Hummel, alles klar bei Ihnen?«, fragte die Fleischer.
»Ja, alles klar … Faszinierend, was Sie alles wissen. Sie lesen in den Toten wie in einem Buch.«
Sie zwinkerte ihm zu. »Wir sprechen uns morgen.«
Hummel durchflutete erneut ein warmes Gefühl, trotz der klammen Nachtluft.
Er folgte Mader und Zankl zu den Umkleidekabinen, wo der Mann wartete, der die Leiche gefunden hatte. Vorher noch eine Zigarette, erst mal sammeln. Dr. Fleischer mit ihrem schneeweißen Overall. Wasserleiche, Strangulationsmale, Dessous, Waschhaut. Jetzt macht er den Job schon so lange. Wasserleichen hat er schon genug gesehen, auch mit Waschhaut. Aber das mit der Hand …! Als ob das Leben etwas ist, das man einfach ausziehen und wegwerfen kann. Er trat die Kippe ins nasse Gras.
In der Umkleide muffelte es nach feuchten Badesachen, nach Holz, Gummi und kaltem Estrich. Diese ganz spezielle Mischung, die Hummel sofort in seine Kindheit zurückversetzte. Die schwachen Neonröhren an der Decke summten. Zwielicht.
Passte zu dem Typen, der die Leiche gefunden hat. Er war in eine Wolldecke gehüllt und hielt einen dampfenden Teebecher in den Händen. Dass da nicht nur Tee drin war, verriet ein feiner, scharfer Duft. Der Hund des Mannes, groß wie ein Kalb, hatte sich zu dessen Füßen eingerollt. Hummel betrachtete das Gesicht des Mannes. Rot, fleischig, großporig, stechende Augen. Die Knastträne unter dem rechten Auge registrierte er sofort.
»Sie sind Dauercamper, Herr Hartl?«, fragte Mader.
»Am Platz kennt mi jeder. I bin der Tscharly.«
»Gut, Tscharly. Kommt es oft vor, dass Sie mit Ihrem Hund so spät noch unterwegs sind?«
»Scho, gell, Wotan.«
Mader warf einen sorgenvollen Blick auf den riesigen Hund. Bajazzo hatte sich in eine Ecke verkrümelt. Atmete lautlos. Ball flach halten.
»Wenn Sie also so spät noch Gassi gehen, dann nehmen Sie immer denselben Weg?«
»Ned immer, aber meistens. An der Floßlände. Wo halt Laternen san.«
»Ist Ihnen mal was aufgefallen, auf Ihren Spaziergängen, vielleicht auch schon vor ein paar Wochen? Eine Person, ein Auto. Irgendwas.«
»Mei, die Leiche wird halt wer in die Isar gschmissen ham.«
»Ja, vermutlich.« Mader stöhnte leise auf.
»Warum ist denn Ihr Hund da ins Wasser gesprungen?«, fragte jetzt Zankl.
»Na, der wird was g’sehn ham, der Wotan. Vielleicht a Entn.«
»Und da springt er gleich ins Wasser?«
»Da kennt der
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