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Isau, Ralf - Neschan 03

Titel: Isau, Ralf - Neschan 03 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lied der Befreiung Neschans Das
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Schweigend gingen sie dem leicht abfallenden Pfad nach, der sich zwischen den hoch aufragenden Felswänden hindurchwand. Nach etwa zweieinhalb Stunden weitete sich die Schlucht erneut.
    »Gleich kommen wir zu der Tafel«, sagte Gimbar. Seine Stimme hallte seltsam verfremdet von den Felswänden wider.
    Gerade folgten die Gefährten einer Wegbiegung, als sie sich plötzlich einer glattpolierten Felswand gegenübersahen. Die Tafel war direkt aus dem Stein gehauen, ungefähr sieben mal sieben Ellen groß, ein vollkommenes Quadrat, von einem schmalen Rand umgeben.
    »Da hat sich aber jemand unheimlich Mühe gegeben, damit man diesen Hinweis nicht übersieht«, meinte Yomi.
    »Könnte durchaus sein«, entgegnete Yonathan, der dicht vor die Tafel getreten war und den Text Buchstabe für Buchstabe studierte.
    »Kannst du entziffern, was da steht?«, fragte Gimbar.
    Yonathan nickte. »Es ist anscheinend ein Rätsel. Hier.« Er folgte mit dem Finger den Zeilen von rechts nach links, während er die uralten Verse zitierte:

    Willst du einen Helden besiegen,
    brauchst du sieben Männer, die ein Schwert
    zu führen wissen.

    Willst du einen Riesen besiegen,
    brauchst du siebenundsiebzig, die Mut und Besonnenheit zu
    bewahren vermögen.

    Doch willst du einen Geist besiegen,
    brauchst du nur einen, der Glauben, Liebe und Hoffnung
    im Herzen trägt.

    Yonathans Worte verklangen und Schweigen breitete sich aus.
    Endlich getraute sich Yomi die Frage zu stellen, die allen im Kopf herumging. »Und was soll das heißen?«
    »Es ist ein Schlüssel«, murmelte Yonathan.
    »Ein… was?«
    »Die Worte verraten uns, wie wir an den Türmen vorbeikommen, ohne zu Steinsäulen zu erstarren.«
    Gimbar horchte auf. »Bedeutet das, dass ein Geist dort am Eingang des Verborgenen Landes lauert und nur darauf wartet, uns zu Stein zu verwandeln?«
    »Es könnten auch zwei sein.«
    »Wie…?« Panik schlich sich in Gimbars Stimme.
    »In dem alten Gedicht über die sieben Wächter des Verborge nen Landes heißt es: Zwei Ohren, die lauschen in verlass’nem Gemäuer, verwandeln zu Stein, wessen Drängen sie stört. Bei dem ›verlass’nen Gemäuer‹ dürfte es sich um die Türme handeln, aber wem die Ohren gehören…«
    »Mir jagen all diese Sprüche jedenfalls Angst ein.«
    »Das sollen sie auch, Gimbar.«
    »Na, herrlich! Dann stehen wir also hier und fürchten uns zu Tode.«
    »Nein – zu Stein. Ich glaube, dass die Gefühle der Menschen, die das Verborgene Land zu betreten versuchten, etwas damit zu tun hatten, dass sie es letztlich nicht schafften.«
    »Also wird jeder, der sich fürchtet, wenn er an den Türmen vorbeigeht, versteinern?«
    »So ungefähr.«
    »Hervorragend! Ich werde eine sehr ästhetische Statue abgeben.«
    Yonathan lachte auf. »Keine Sorge, Gimbar. Ich glaube, ich kenne das Geheimnis des Schlüssels. Yomi«, er wandte sich dem blonden Seemann zu, »erinnerst du dich noch an das Gespräch mit Din-Mikkith, dem Behmisch, damals, als ich mich von den Folgen des Grünen Nebels erholte? Ich fragte Din, ob er die sieben Wächter des Verborgenen Landes kenne, und er erzählte uns, dass er vor langer Zeit die beiden Türme und die versteinerten Gestalten am Ausgang dieser Schlucht hier unbeschadet passiert habe.«
    »Stimmt. Jetzt, wo du es sagst, erinnere ich mich wieder.«
    »Als ich Din fragte, warum ihm nichts geschehen sei, scherzte er, die Türme hätten wohl gerade ein Schläfchen gehalten. Aber dann hat er etwas Interessantes hinzugefügt. Er sagte: ›Yehwohs Fluch schläft nie. Ich kann wirklich nicht sagen, warum mich die Türme vorbeiließen – vielleicht, weil ich nichts Böses im Sinn hatte, und schon gar nichts, was das Wiedereinführen der alten Kulte betraf.‹ Ich schätze, Din-Mikkith lag mit seiner Vermutung richtig.«
    »Du ›schätzt‹?« Gimbar klang entsetzt. »Und was ist, wenn du dich verschätzt?«
    »Ich werde als Erster gehen. Wenn ich mich in Stein verwandele, dann dreht ihr einfach um und geht nach Hause.«
    Yomi und Gimbar wechselten einen Blick, der Bände sprach. Sie wussten, dass ihr Auftrag zu wichtig war, um Yonathans Vorschlag ernst zu nehmen. Sie wussten aber auch, dass sie sich selten so schlecht gefühlt hatten wie in diesem Augenblick.
    Yonathan ließ seinen Gefährten keine Gelegenheit zu weiterem Nachdenken und Zweifeln. Er marschierte an der Tafel mit dem Unheil verkündenden Rätsel vorbei und folgte dem breiter werdenden Pfad. Nach einem lang gezogenen Rechtsbogen tauchten die Türme

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