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Isau, Ralf - Neschan 03

Titel: Isau, Ralf - Neschan 03 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lied der Befreiung Neschans Das
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schon bis an die Hüften hinauf. Er zwang das Gefühl ohnmächtiger Angst nieder und konzentrierte sich ganz auf den Gefährten. Du brauchst dich nicht zu fürchten. Die Botschaften waren einfach, die er in Gimbars Geist pflanzte. Du kannst gehen. Nur Feinde Yehwohs werden bestraft – du bist sein Freund.
    Endlich beruhigte sich Gimbar, das Geschrei verstummte. Sein Atem ging keuchend. Zum ersten Mal schien er Yonathan richtig wahrzunehmen.
    »Hab keine Angst«, sagte der junge Richter. Er lächelte seinem Gefährten zu. »Wir gehen das letzte Stück gemeinsam. Du wirst sehen: Es ist ganz einfach.«
    Beide schauten nach unten: Das Grau verschwand von Gimbars Beinen wie Staub, den der Sommerregen fortwäscht. Zuletzt gewannen die schwarzen Stiefel ihre Farbe zurück. Gimbars Zehen bewegten sich unter dem dunklen Leder.
    »Ich kann meine Zehen spüren!«
    »Na, dann ist ja alles in Ordnung«, freute sich Yonathan. Die Erleichterung stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Und jetzt lass uns gehen, bevor die Wächter es sich noch einmal anders überlegen.«
    Sie hatten ihre Rast gleich am Waldrand eingelegt, noch in Sichtweite der beiden Türme. Yonathan und Yomi verschlangen ihr zweites Frühstück, als hätten sie eine Woche lang nichts mehr gegessen. Jetzt, da die Anspannung von ihnen abgefallen war, verlangte der Körper nach seinem Recht. Gimbar war noch nicht soweit. Ohne Appetit stocherte er in dem gebratenen Speck und dem gerösteten Brot auf seinem Teller herum.
    »Du solltest dein Frühstück lieber genießen«, riet der lange Seemann seinem blassgesichtigen Freund. »Die Vorräte aus Cedanor werden nicht mehr lange reichen, dann gibt es nur noch Grünfutter.«
    »Was?« Gimbars Begeisterung hielt sich sichtbar in Grenzen.
    »Grünfutter. Wart’s nur ab. Im Verborgenen Land ist so ziemlich alles grün: die Bäume, die Tiere, die Nahrung, sogar die Behmische. Ist es nicht so, Yonathan?«
    »Doch, doch«, erwiderte dieser gedankenverloren kauend. »Selbst die Papageien, wenn sie im Schnee spielen.«
    Yomi und Gimbar folgten seinem Blick und sahen eine Gruppe graugrüner Papageien, die in der Nähe damit beschäftigt waren, Stöckchen herumzuschleppen oder kleine Steine im Schnabel zu tragen.
    »Diese Vögel da sind Keas«, erklärte Yomi. »Yonathan und ich haben sie schon einmal gesehen, damals, als wir mit Din-Mikkith in das ewige Eis hinaufkletterten, um das Tor im Süden zu finden. Unser Behmisch-Freund hat dann etwas unheimlich Merkwürdiges getan. Er hat…«
    Yomis Redefluss kam ins Stocken, weil Yonathan sich erhoben hatte und nun in geduckter Haltung auf die Vögel zuschlich, um dann genau jenes geheimnisvolle Verhalten zu wiederholen, mit dem der Behmisch knapp vier Jahre zuvor seine Zuschauer verblüfft hatte. Yonathan hielt plötzlich ein grünes, funkelndes Etwas in der Hand – den Keim Din-Mikkiths, wie Yomi und Gimbar inzwischen wussten – und suchte sich einen Kea aus, der in einiger Entfernung von den anderen Tieren in sein Spiel vertieft war. Er widmete sich gerade einem knapp ellenlangen Stock, den er mit seinem gebogenen Schnabel immer wieder zwischen zwei Steine klemmte, um dann daran hochzuklettern. Jedesmal, wenn der Aufstieg begann, kippte der Ast zur Seite weg und der Kea begann seine Übung von vorn.
    Jetzt jedoch erblickte er ein großes flügelloses Wesen, das in einer seiner Vorderpfoten ein interessantes glitzerndes Ding hielt. Der Vogel watschelte vorsichtig näher. Er fühlte sich seltsam angezogen von diesem großen Tier. Es weckte in ihm ein tiefes Gefühl der Geborgenheit. Keas hatten sehr wohl Feinde, denen sie besser aus dem Weg flogen, aber als er sich jetzt von den weichen Pfoten des Lebewesens über das Gefieder streichen ließ, empfand er keine Furcht.
    Seltsamerweise »zeigten« sich ihm noch einmal all die Dinge, die er in der letzten Zeit erlebt hatte. Der Kea gurrte zufrieden. Aber nun nahm er ein Bild wahr, das er nicht kannte. Und doch wusste er, dass er diesen Eindruck bewahren sollte. Er war sehr wichtig, genauso wichtig, wie den Umriss eines Milans am Himmel zu kennen. Kurz darauf spürte er das starke Bedürfnis aufzufliegen.
    Der Kea hob sich in die Lüfte, ließ seine Artgenossen zurück und entschwand schnell nach Norden, einem Ort entgegen, an dem er nie gewesen war und den er trotzdem mit keinem anderen verwechseln würde.
    »Und warum willst du uns nicht verraten, was du deinem grünen Freund zugeflüstert hast?«
    Yonathan seufzte. »Nun lass es gut sein,

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