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Isau, Ralf - Neschan 03

Titel: Isau, Ralf - Neschan 03 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lied der Befreiung Neschans Das
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Hatte er alles mit angehört?
    »Ich verstehe nicht…«
    »Nein, wirklich nicht. Nun wurde dir schon die Gabe des Gefühls zuteil, aber du hast dich einfach geweigert das Offensichtliche anzuerkennen. Bithya liebt dich. Und das schon eine ganze Weile. Wenn ihr beide nicht noch so jung wärt, hätte sie dir schon längst einen Heiratsantrag gemacht.«
    »Bithya? Mir?«
    »Du solltest lernen aufmerksamer zu sein, Geschan – und unvoreingenommener.«
    »Ja, Meister. Dein Rat wird mir fehlen. Ich wünschte, du könntest mitkommen.«
    »Du bist jetzt der Richter. Du musst für dich allein entscheiden, für dich und für Neschan. Ich wollte dir das zum Abschied noch einmal sagen.«
    Yonathan nickte. Er fühlte sich seinem Amt überhaupt nicht gewachsen. Eher unwürdig, wie damals, als Yehwohs Bote Benel ihm die Aufgabe übertragen hatte, den Stab Haschevet zum Garten der Weisheit zu tragen. »Ich bin froh einen Lehrer wie dich zu haben, Goel. Lauf mir nicht weg, bis ich wieder zurück bin.«
    Wieder lächelte Goel geheimnisvoll. »Da musst du dich nicht sorgen, mein Sohn. Wenn du wiederkehrst, werde ich längst im Herzen der Erde ruhen.«
    Yonathan traf diese so ruhig geäußerte Ankündigung wie ein Faustschlag. »Aber…?«
    Nun wirkte Goel doch ein wenig verwundert. »Ja, hast du dich denn nicht genügend mit der Zeitrechnung beschäftigt? Wusstest du nicht, dass ich in wenigen Wochen sterben werde?«

II.

Der Jäger im Turm
      
      
    Der Schwarze Turm zu Gedor war der dunkelste Ort auf ganz Neschan. Daran gab es keinen Zweifel. Die Finsternis wuchs hier in eine neue Dimension. Sie umfasste mehr als nur die Abwesenheit von Licht. Hier bedeutete sie die Abwesenheit von Hoffnung. Jedenfalls jener Art von Hoffnung, wie sie die Bewohner der Länder des Lichts suchten. Schwäche war alles, was er früher mit diesem Bedürfnis nach Trost, Liebe und Wärme verbunden hatte.
    Bis zu diesem Tage, als der Junge ihn an der Schwerthand berührt hatte. Es war eine liebevolle, eine beinahe zärtliche Berührung gewesen. Sie hatte ihn zutiefst erschüttert. Schließlich war er der Jäger – ganz Neschan fürchtete seinen Namen –, der andere aber nur ein Knabe.
    Diese Berührung hatte alles verändert. Noch nie zuvor hatte er Liebe gespürt. Eine gewisse Fürsorge von Seiten Bar-Hazzats, ja, eine, wie man sie auch seinem besten Bluthund angedeihen lässt. Doch echte Zuneigung…? Der Junge hatte ihn mit einer Waffe besiegt, die stärker war als jeder temánahische Stahl, gewaltiger noch als Hass, selbst mächtiger als der Tod. Der Knabe verfügte über die Gabe der vollkommenen Liebe.
    Kein Wunder, dass alles so gekommen war: die jähe Konfrontation mit diesen mächtigen Gefühlen, Verwirrung – ein kurzes Zögern nur – und der Junge war ihm entkommen. Natürlich hatte er, der Jäger Bar-Hazzats, ihn verfolgt, hatte lieber sterben wollen, als diese Niederlage zu erleiden. Aber das war ihm nicht vergönnt gewesen.
    Er war damals im Nebel umhergeirrt, wie lange, das wusste er bis heute nicht. Und schließlich kehrte er nach Gedor zurück. Allein – Gan Mischpads Grenznebel hatte alle seine Männer verschlungen – überquerte er den geheimen Pass nach Temánah. Und allein trat er vor seinen Gebieter; die Schmach der Niederlage war zwar groß, doch wenigstens diese letzte Pflicht wollte er erfüllen. Er wusste, dass es für sein Versagen nur einen Lohn geben konnte: den Tod. Aber selbst diese Gnade blieb ihm versagt. Bar-Hazzat kannte das Wort Gnade nicht.
    Seit diesem Tage hatte der Schwarze Turm ihn nicht mehr freigegeben. Er saß in den Eingeweiden dieses Riesen fest und dachte über die wahre Bedeutung des Wortes Finsternis nach. Es gab wohl – in welcher Sprache auch immer – keinen Begriff, der diese Schwärze auch nur annähernd beschreiben konnte.
    Da das Licht seine Gesellschaft mied, blieben ihm nur die eigenen Gedanken. Und die Ratten. Sie liebten den Schwarzen Turm, waren gesund und wohlgenährt – von den Gefangenen, die hier unten vergessen worden waren, so sagte man. Ab und zu verirrte sich auch eine in sein Kerkerloch. Aber hier war er der Jäger. Seine Reflexe waren noch intakt und er hatte sich der Finsternis angepasst. Kaum einmal entkam ihm eine Beute. Das Fleisch der Tiere half ihm zu überleben, wenn es auch in der letzten Zeit knapper geworden war. Es hatte sich wohl unter den Ratten herumgesprochen, dass es in diesem Loch für sie nichts zu gewinnen gab.
    Die Ratten vergaßen ihn allmählich, ebenso

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