Isau, Ralf - Neschan 03
mich gestellt zu sein.«
»Aber du bist doch nicht allein. Goel kann den Garten nicht verlassen. Außerdem sind Sorgan und Balina…«
»Das ist nicht das Gleiche«, fiel Bithya Yonathan erneut ins Wort. Er sah, dass ihre Unterlippe bebte. »Du wirst nicht mehr da sein. Nur das zählt für mich.«
Eine Fieberwelle lief durch Yonathans Körper, die ihn abwechselnd frösteln und brennen ließ. Also hatte er sich doch nicht geirrt, was Bithyas Gefühle ihm gegenüber betraf. Dieses anmutige, wunderschöne Mädchen wirkte mit einem Mal sehr verletzlich. Wo war die andere Bithya geblieben, die kratzbürstige Stachelwortspuckerin, die Komplizin bei so manchem Streich, die gute Freundin? Er erinnerte sich an die Verlegenheit und die feuchten Hände, die ihm bereits am ersten Tag ihrer Bekanntschaft zu schaffen gemacht hatten. Doch erst jetzt begriff er, wie sehr er dieses Mädchen wirklich liebte.
Balina hatte die ganze Nacht hindurch die Verpflegung für die drei Reisenden zubereitet und Sorgan hatte den Rest des Gepäcks zusammengestellt. Bithya war wie vom Erdboden verschluckt.
Yonathan hatte sich abgelenkt, indem er seine persönlichen Habseligkeiten ordnete und das zurechtlegte, was er mitnehmen wollte. Die drei Rosen Aschereis bettete er in einen langen Kasten aus Wurzelholz. Um seinen Hals hängte er sich die alte Flöte, die zu einem Erkennungszeichen des siebten Richters geworden war. Für den Knauf Haschevets hielt er einen Lederbeutel bereit; Goel hatte ihm geraten, den Stab damit zu tarnen, um eine vorzeitige Entdeckung zu vermeiden.
Für den äußersten Notfall überreichte der alte Richter Yonathan ein Pergament. »Gib es demjenigen, der dich aufzuhalten versucht; er wird sich von dem Blatt nie wieder lösen können, es sei denn, jemand anderes befreit ihn davon.« Yonathan wollte einen Blick auf dieses merkwürdige Schriftstück werfen, aber Goel drückte seinen Arm nieder und fügte hinzu: »Versuche es niemals, Geschan! Deine Reise könnte enden, ehe sie begonnen hat.«
Der sechste Richter machte ihm noch zwei andere wundersame Abschiedsgeschenke: den Beutel und den Dolch, die Yonathan schon auf seiner letzten großen Reise so nützliche Dienste geleistet hatten; Ersterer, indem er in Zeiten des Hungers stets auf geheimnisvolle Weise genügend Nahrung gespendet und Letzterer, indem er sogar Stein und eiserne Fesseln zerschnitten hatte. Die Dolchklinge konnte allein durch die Kraft der Gedanken scharf oder stumpf werden.
Die Kleidung, die Yonathan sich aussuchte, war einfach und zweckmäßig: ein alter grüner Umhang, den er einst von dem Behmisch Din-Mikkith geschenkt bekommen hatte, Wams, Hosen und Stiefel aus Hirschleder sowie zwei ungefärbte, weite Leinenhemden.
Die Wahl des Reittieres bedurfte keiner Überlegung. Kumi, das weiße Lemak mit den verschiedenfarbigen Augen, das er von Baltan geschenkt bekommen hatte, war in den vergangenen drei Jahren noch kräftiger geworden. Der aufgeweckte und häufig etwas launische Hengst würde ihn überallhin tragen.
Als schließlich der Augenblick des Abschieds nahte, tauchte plötzlich Bithya wie aus dem Nichts auf. Ihre Augen waren gerötet.
»Ich werde auf dich warten«, sagte sie mit belegter Stimme.
»Es wird nicht vergeblich sein.«
»Aber all die Gefahren! Wenn du nun…«
»Still«, unterbrach Yonathan das Mädchen sanft, während er ihm seinen Zeigefinger auf die Lippen legte. »Ich werde zurückkommen. Oder zweifelst du an den Prophezeiungen des Sepher?«
»Nein«, presste Bithya hervor, und ihre Unterlippe zitterte wieder. »Ich kann mir nur nicht vorstellen, wie ich ohne dich…« Der Rest des Satzes ging in einigen erstickten Lauten unter.
»Du brauchst jetzt nichts mehr zu sagen«, sprach Yonathan beruhigend auf das Mädchen ein, das er schon so lange liebte – anfangs, ohne es sich selbst einzugestehen, und später, ohne es offen auszusprechen. »Wir werden uns Wiedersehen. Ich verspreche es. Schon bald!« Und mit einem schiefen Lächeln fügte er hinzu: »Pass so lange gut auf unsere kleine Masch-Masch-Dame auf. Mir scheint, Gurgi ist in letzter Zeit ein wenig fett geworden. Gib ihr nicht zu viele Nüsse.«
Er küsste Bithya auf die Stirn, und ehe er ihr noch einmal in die Augen blicken konnte, hatte sie schon einen Zipfel ihres Gewandes gegen Mund und Nase gepresst und ihr Heil in der Flucht gesucht.
»Du musst noch so viel lernen, Geschan.«
Yonathan drehte sich erschrocken um. Goel stand hinter ihm und lächelte geheimnisvoll.
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