Isau, Ralf - Neschan 03
isoliertes Leben in Gan Eden war ihm das Neschanische nicht geläufig. Benel übersetzte für Yonathan.
»Unser Freund fragt, wer das ›Kind der Hoffnung‹ sei, von dem wir ständig sprechen.«
Yonathan warf dem Boten Yehwohs einen verständnislosen Blick zu.
»Er meint Din-Mikkith«, erklärte Benel.
»Seltsamerweise habe ich mich nie gefragt, welche Bedeutung Dins Name wirklich hat. Sagt ihm bitte, dass ich gekommen bin, um Baru-Sirikkith eine Gabe von dem ›Kind der Hoffnung‹ zu überbringen.«
Für einen Moment wirkte jetzt sogar Benel verunsichert. Doch dann legte sich eine tiefe innere Freude auf die Züge des Boten. Schnell teilte er Baru-Sirikkith Yonathans Worte mit.
Das Gesicht des Behmischs veränderte sich, die grünen Augen begannen erwartungsvoll zu leuchten.
Yonathan nestelte an Goels Beutel herum, den er an seinem Gürtel trug. Er war so aufgeregt, dass es seinen Fingern schwer fiel den Verschluss zu öffnen. Endlich gelang es ihm und er förderte ein grün funkelndes Juwel zutage. Vorsichtig, als befände sich darin ein sehr kostbarer, sehr zerbrechlicher Gegenstand, hob er die Hand und hielt Baru-Sirikkith den Keim Din-Mikkiths entgegen. Dann sprach er feierlich und Benel übersetzte seine Worte:
»Heute, Baru-Sirikkith, wird deine mühevolle Arbeit sowie die Pflege, die all deine Vorfahren diesem Garten Yehwohs angedeihen ließen, belohnt werden. Ihr habt euch als zuverlässige Verwalter erwiesen, als treue Diener des Höchsten und als mutige Streiter des Lichts. Hier, ›Spross des Lebensbaumes‹, überreiche ich dir den Keim des ›Kindes der Hoffnung‹, auf dass beide eins werden und ein neues Volk der Behmische entstehe.«
Die Reaktion Baru-Sirikkiths auf dieses Geschenk war sehr heftig. Bereits als Yonathan den Keim Din-Mikkiths zum Vorschein gebracht hatte, waren mehrere Wellen unterschiedlicher Grüntöne über die Haut des Behmischs gezogen. Nun weiteten sich die Augen Baru-Sirikkiths, und er zitterte am ganzen Leib, als ihm der Stabträger das Samenkorn des Artgenossen entgegenstreckte. Aufgeregt redete das Wesen ununterbrochen vor sich hin – ein Konzert von Zischlauten.
»Baru-Sirikkith ist außer sich vor Freude«, meinte Benel.
»Hier, nimm ihn«, ermutigte Yonathan den Behmisch und hielt den Keim noch etwas höher.
Baru-Sirikkith wirkte mit einem Mal sehr unsicher. Eine sechsfingrige Hand tastete sich vorsichtig vor, schnellte aber sofort wieder zurück, sobald sie nur den fremden Keim berührt hatte.
»Hab keine Angst«, sagte Yonathan sanft zu ihm. Er hatte den Eindruck, der Behmisch sei etwas kleiner und vielleicht nicht ganz so faltig wie Din-Mikkith.
Endlich ließ Baru-Sirikkith sich beruhigen. Er nahm die Farbe des Grases an, auf dem er stand. Nur ab und zu zeigte sich noch ein anderes Grün auf seinem Körper. Behutsam streckte er beide Hände nach dem Keim aus und nahm ihn zaghaft entgegen.
Yonathan zog seine Hand zurück: Baru-Sirikkith sollte merken, dass dieses Angebot ernst gemeint war. Für einen winzigen Augenblick erinnerte Yonathan sich an all die Erlebnisse, die er mit dem Keim gehabt hatte, wie er zum ersten Mal mit Galal Kontakt aufgenommen, wie er sein unberechenbares Lemak, Kumi, für sich gewonnen oder die Pferde herbeigerufen hatte, die er dann der Obhut des Nomadenmädchens Lilith unterstellte. Den Keim herzugeben kam ihm in diesem Moment nicht als Verlust vor, schon eher spürte er die Wehmut, die man beim Abschied von einem alten Freund empfindet. Er freute sich für Baru-Sirikkith, für Din-Mikkith und für das ganze, noch ungeborene Volk der Behmische.
Als Yonathan zusammen mit Baru-Sirikkith die flimmernde Sphäre zwischen den beiden Keruvim passierte, tat er es mit großem Unbehagen. Vielleicht lag dies daran, dass er nun die zerstörerische Macht des Schwertes der beiden Wächter kennen gelernt hatte.
Natürlich hatte er zuvor mehrmals versucht einfach außen an den beiden Flügelwesen vorbeizugehen, aber es war ihm nicht gelungen. Er kannte Bilder von Menschengesichtern, raffinierte Täuschungen aus Farbe und Pinselstrich, an denen man entlanggehen konnte und ständig glaubte, die gemalten Augen würden einem folgen. Hier sah er sich offenbar dem lebenden Modell dieser Kunstwerke gegenüber. Ganz gleich, an welcher Seite er die Keruvim zu umgehen versuchte, ihr Mittelpunkt, das Schwert, war ihm ständig zugewandt; irgendwie schien sich das Gefüge des Raums selbst zu verschieben, denn die Wächter schwebten einfach regungslos
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