Isau, Ralf
Koreander?«, stieß er aufgeregt hervor, als handele es sich um eine letzte Prüfungsfrage.
»Bücher über Bücher! Tausende in allen Farben leuchtende und nach allen Düften riechende Bücher! Ich kann mir das nicht erklären, aber es war wunderbar«, antwortete Karl.
»Dann gefällt Ihnen also meine geheime Bibliothek?«
»Ihre ...?« Karl konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Habe ich mir fast gedacht, dass Sie da die ›entarteten Literaten‹ horten. Die Bücher sind doch nicht zum Verkauf bestimmt, oder?«
»Da haben Sie wohl Recht«, sagte Herr Trutz seltsam gedehnt. »Dann nehmen Sie den Posten also an?«
»Mit Freuden!«
»Sie haben keine Angst vor den Schnüfflern der Behörde?«
»Doch, aber ich würde alles dafür geben, Ihnen beim Hüten Ihres Schatzes zu helfen.« Karl erschrak über seine eigene Antwort. Seit dem Rausschmiss aus der Hochschule neigte er eher dazu, allem, was Ärger verursachen könnte – vor allem jeder Konfrontation mit dem Staatsapparat –, aus dem Weg zu gehen. Zum Glück schien diese Angst vor der eigenen Courage seinem neuen Brötchengeber nicht aufzufallen.
»Prächtig!«, rief Herr Trutz und schlug übermütig die Pfeife und seinen Stock aneinander. »Wann können Sie anfangen?«
»Nun ...«
»Sofort?«
»Ja, schon. Ich müsste nur ...«
»Prächtig!«, jubilierte Herr Trutz abermals und deutete auf den Aktendeckel neben seinem Sessel. »Ich habe schon alle erforderlichen Dokumente vorbereitet. Sie müssen nur einschlagen.« Er steckte sich den Pfeifenstiel zwischen die Zähne und reichte Karl die Hand.
Der junge Mann griff rasch zu. Er konnte sein Glück kaum fassen.
Unvermittelt entzog ihm Herr Trutz wieder die Hand. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen.« Er sprang aus dem Sessel auf, durchquerte mit Hilfe seines Stocks erstaunlich hurtig den Laden und verschwand am anderen Ende hinter der Bücherwand.
DAS VERMÄCHTNIS
Karl stand wie ein begossener Pudel neben dem leeren Ohrenbackensessel und sah konsterniert zu dem dunklen Durchgang hinüber. Was hatte den Weißschopf so plötzlich aus dem Raum getrieben? Vielleicht eine schwache Blase? Bei älteren Leuten sollte es so etwas ja geben. Karl wartete.
Minuten verstrichen, ohne dass auch nur der Pfeifenstiel des Antiquars auftauchte. Karl begann zu schwitzen. Er zog seinen dicken Wintermantel aus und legte ihn über den Tresen. Sein Blick wanderte eine Weile ziellos durch den Laden und schließlich zur Straße hinaus. Auf der anderen Seite des Schaufensters stand eine Gaslaterne, deren weißgelbe Lichtinsel hastig von einem älteren Paar durchquert wurde. Der Mann hielt seinen Hut fest, um ihn nicht im böigen Wind zu verlieren.
»Herr Trutz?«, rief Karl und lauschte.
Niemand antwortete.
»Herr Tru-uuutz?«
Stille im Kabinett.
»Er kann sich doch nicht durchs Klo gespült haben«, murmelte Karl ärgerlich. Sein Blick blieb an der schwarzen Dokumentenmappe hängen. Verstohlen sah er zur Bücherwand. Von Herrn Trutz noch immer keine Spur. Mit langem Arm und nur leichter Beugung in der Taille klappte Karl den Aktendeckel auf. Sein Unterkiefer sank herab. Was er da las, musste ein Irrtum sein.
Karl stieß prustend den Atem aus, den er vor Schreck angehalten hatte. Da stand tatsächlich in fast noch feuchter Tinte, mit einer Handschrift hingekritzelt, wie sie sonst nur auf den Rezepten hektischer Ärzte zu sehen war, sein vollständiger Name. Herr Trutz konnte diese Vollmacht unmöglich ernst meinen. Karls Hand fuhr in die Manteltasche und zog den Zeitungsausschnitt hervor. Mit zitternden Fingern glättete er das zerknüllte Papier und las noch einmal laut den Satz, der sich für ihn anfangs wie ein Köder angehört hatte, mit dem man leichtgläubige Bewerber für eine schlecht bezahlte Anstellung angelte.
»Mit bestandener Probezeit werden Sie kommissarisch die Führung des Ladens übernehmen und ihn nach meinem Fortgang erben, sofern es dann weiterhin Ihr Wunsch und Wille ist, mein Lebenswerk fortzuführen.«
Benommen starrte Karl auf die Generalvollmacht. Ich habe schon alle erforderlichen Dokumente vorbereitet. Sie müssen nur einschlagen. Also, der Alte hatte wirklich »Mut zu ungewöhnlichen Entscheidungen«, wie er es in seiner Annonce auch von seinem Nachfolger erwartete. Allerdings konnte er kaum ein so guter Menschenkenner sein, wie Karl anfangs vermutet hatte. Sonst hätte er sich schwerlich einen so ängstlichen und
Weitere Kostenlose Bücher