Isch geh Schulhof: Erfahrung
nächste Schuljahr vorstellt. Nach der Veranstaltung kommt Chrissi kopfschüttelnd auf mich zu, doch ich verspüre jetzt nur noch den Drang, den auch Friederike vorhin hatte: raus hier!
9
Neustart
A ls ich in den Ferien endlich mal wieder am Schreibtisch in meiner WG sitze und Bewerbungen schreibe, serviert mir Sarah einen frischen Kaffee.
»Na, Süßer«, beginnt sie in leicht bemitleidendem Ton und schaut mir über die Schulter. Dann erklärt sie mir, dass sie sich meinen Ausstieg aus der Schule insgeheim gewünscht habe. Mein Mitbewohner Bernd, der das Thema auf dem Flur gehört haben muss, betritt den Raum und stimmt ihr vehement zu.
»Mann, Möller«, schnauzt er mich entschieden an. »Das ist nicht dein Beruf!« Er erinnert mich an die emotionale Überforderung, die inhaltliche Unterforderung und das schlechte Gehalt. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du damit auf Dauer glücklich wirst.«
Ich widerspreche ihm zwar nicht, aber doch dauert es nur wenige Tage, bis ich mich dabei erwische, die Arbeit mit den Katastrophenkindern ernsthaft zu vermissen. Weil Jobs in meinem ursprünglichen Berufsfeld ausgesprochen selten sind, schicke ich während der gesamten Sommerferien gerade mal drei Bewerbungen dafür ab. Ansonsten spiele ich auf Risiko, genieße die freie Zeit, soweit ich kann, und stelle mich mit jeder vergangenen Ferienwoche etwas mehr darauf ein, schon bald wieder als Lehrer zu arbeiten – notfalls auch an einer anderen Schule. Das Bewerbungsverfahren kenne ich ja nun: beliebig viele Grundschulen anrufen, mich als potenziellen Vertretungslehrer vorstellen, nach Bedarf fragen, höchstwahrscheinlich eine positive Antwort erhalten, hinfahren, vorstellen, unterschreiben, unterrichten.
Eine weitere Nachricht von der Bewerbungsfront gibt es aber doch noch zu verzeichnen: Sarah hat die Zusage für einen Studienplatz bekommen – in Oldenburg! Weil wir genau wissen, dass wir beide keine Typen für eine Fernbeziehung sind, nehmen wir die Nachricht mit sehr gemischten Gefühlen auf. Nur die Antwort von der Uni Potsdam steht noch aus. Es gibt also noch Hoffnung, aber im Moment sieht alles danach aus, als würde Sarah die nächsten Jahre in Oldenburg leben müssen. Was das für unsere Beziehung bedeuten könnte, trauen wir uns im Moment noch nicht offen auszusprechen.
Als in der letzten Ferienwoche eine Mitarbeiterin der Senatsverwaltung anruft und mir einen Job als Lehrer an meiner bisherigen Schule anbietet, fällt mir ein riesiger Stein vom Herzen. Wenigstens das klappt! Ich vereinbare einen Termin mit ihr, laufe durch die kilometerlangen Gänge des muffigen Verwaltungsgebäudes, das ich schon im März besucht habe, und unterschreibe einen weiteren Vertrag – diesmal immerhin für sechs Monate. Am Freitag der letzten Ferienwoche mache ich mich schließlich auf den Weg zur Gesamtkonferenz. In der Aula angekommen, versammeln sich sofort meine Kollegen um mich und begrüßen mich herzlich. Erstaunlicherweise wundern sie sich nur wenig darüber, mich hier wiederzusehen. Stattdessen scheint sie ein anderes Thema viel mehr zu beschäftigen. Chrissi kann es kaum erwarten, mich aufzuklären.
»Wir haben eine neue Schulleiterin«, verrät sie mir mit einem bedeutungsschwangeren Blick.
»Wirklich?«
»Wundert’s dich?«
Berechtigte Frage – natürlich nicht!
Herr Friedrich habe wohl schon länger vorgehabt, wieder zurück nach Bayern zu gehen, erklärt sie mir, weshalb die Ludwig-Feuerbach-Grundschule nun die vierte Schulleitung in fünf Jahren bekomme.
Dann wird ihr Gesicht plötzlich ernst.
»Außerdem ist unsere Konrektorin in den Ferien an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben.«
Mit dieser sehr zurückhaltenden Dame hatte ich zwar fast nie zu tun, aber die Nachricht von ihrem Tod kommt doch sehr unerwartet. Als würde das nicht schon reichen, erzählt mir Chrissi, dass außerdem die Sekretärin gekündigt hat und auch die Leitung der Kita neu besetzt wurde.
»Also haben wir jetzt eigentlich eine komplett neue Schulleitung?«
»Das könnte man so sagen«, entgegnet sie. »Mir kommt es auch ein bisschen so vor, als würde ich an einer neuen Schule arbeiten.«
In sechs Wochen Sommerferien kann also viel passieren. Wir suchen uns einen Platz in der Aula und entdecken dann eine kleine Frau in einem ordentlichen Kostüm. Das muss die neue Rektorin sein! Mit freundlicher Miene schüttelt sie einigen Kollegen die Hand und sorgt dann mit einem Stift und einem Glas für Aufmerksamkeit. Als alle sitzen und
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