Isch geh Schulhof: Erfahrung
der wenigen, die ein echtes Instrument spielen können. Bei den meisten beschränkt sich die Musikalität auf Guitar Hero , das Konsolen-Spiel, bei dem man durch das Drücken verschiedener Knöpfe auf einer Plastikgitarre Punkte erzielen kann. Die Zeit und das Geld für diesen Unsinn würden locker reichen, um die Basics auf einer echten Klampfe zu erlernen, doch der Siegeszug solcher Fake-Instrumente scheint den Zugang zu handgemachter Musik zu erschweren. Als einer meiner Schüler im Musikraum einmal eine echte Gitarre auf den Schoß bekam, fragte er nach ein paar ratlosen Momenten: »Herr Mülla, wozu sind diesem Schnüre, vallah?«
Ranjad betritt sichtbar nervös mit seiner Geige die Bühne. Alle, die nicht mit den Feinheiten ihrer High-End-Unterhaltungselektronik beschäftigt sind, klatschen. Der Applaus fällt somit eher spärlich aus. Schon während meiner Moderation ist mir aufgefallen, dass einer der Väter besonders schamlos auf seinem Handy herumgetippt hat, wobei jeder Tastendruck durch ein wenig dezentes Piepen bestätigt wurde – doch jetzt schießt der Typ den Vogel ab: Nachdem er Ranjads noch etwas ungeübtem Geigenspiel mit gelangweilter Miene für ein paar Momente gelauscht hat, zückt er erneut sein Handy, drückt ein paar Mal auf der Tastatur herum und hält das Gerät ans Ohr. Ich kann es nicht fassen – der ruft mitten in der Vorführung jemanden an!
Aus dem Publikum ist nun deutlich sein Gespräch zu vernehmen. »S’los, Hamoudi? Isch bin gerade, Dings, auf so eine Schulfest von meine Sohn. Ja, Mann, is ieberkacke hier … Gehn wir später Fitness?«
Bei seinem Gespräch wird mir klar, dass Hamoudi kein Name, sondern eine liebevolle Bezeichnung für Kumpels ist. Wie auch immer … als Ranjad fertig ist, schnappe ich mir das Mikrofon.
»Vielen Dank, Ranjad«, rufe ich betont fröhlich, »das ist dein Applaus!«
Ich warte einen kleinen Moment ab, bis das klägliche Geklatsche verstummt ist. Der Störenfried hat sein Gespräch inzwischen beendet, ich dagegen drehe jetzt erst richtig auf.
»Eines möchte ich Ihnen kurz sagen …«
Herr Friedrich sieht, wie ärgerlich ich bin, und scheint zu ahnen, was nun kommt. Ängstlich schüttelt er den Kopf und sieht dabei aus, als ob er gleich einen Herzinfarkt kriegt. Aber das muss ich loswerden, tut mir leid!
»Wenn ein elfjähriger Junge sich traut, vor zweihundert Leuten auf einer Bühne zu stehen, erwarte ich von Ihnen, dass Sie ihm auch zuhören. Es war nicht zu überhören, dass Sie«, ich gucke dem Störer direkt in die Augen, »die Frechheit besitzen, während der Vorstellung lautstark zu telefonieren. Das ist ja wohl das Letzte!«
Der Typ zuckt gleichgültig mit den Schultern.
»Ich bitte Sie: Nehmen Sie die Kinder ernst, die sich hier so viel Mühe geben. Damit können Sie ein Vorbild sein. Also halten Sie während der Aufführungen den Mund und hören Sie zu – oder gehen Sie! Danke.«
Der Telefonierer verlässt demonstrativ den Saal. Während der restlichen Veranstaltung sind es nur noch einzelne Schüler, die das Bühnenprogramm stören. Aber das war auch zu erwarten.
»Find ich richtig gut, dass du das mal gesagt hast«, spricht mich eine meiner Kolleginnen nach der Veranstaltung an. »Ich hab ja schon Eltern erlebt, die während des Elternabends telefoniert haben.«
»Und, was hast du dazu gesagt?«, frage ich.
»Nichts«, gibt sie zu. »Hab mich nicht getraut.«
8
Ein Sommer in Hartz IV
A ls ich am letzten Schultag meinen Dienst beginne, betrete ich die Grundschule mit gemischten Gefühlen. Einerseits freue ich mich auf die Ferien, andererseits ist meine Vertragsverlängerung immer noch gänzlich unklar. In den letzten zwei Stunden vor der Zeugnisausgabe findet zwar kaum noch Unterricht statt, aber vor allem stehen die Noten der Schüler fest. Die Zeugnisse sind gedruckt und somit ist von der ohnehin schon sehr geringen Motivation unserer Schüler nun wirklich gar nichts mehr übrig – was nicht heißt, dass ich mir von den Kids auf der Nase herumtanzen lassen muss.
»Ardahan, sei bitte leise, wenn andere sprechen«, fordere ich einen meiner Schüler freundlich auf, als er seinem Sitznachbarn lautstark von seinen letzten Abenteuern am Flatscreen erzählt.
»Und was, wenn isch nisch mache?«, fragt er mich frech. »Willst du mir etwa ein schlechtere Note geben? Diese Zeugnisse – sie sind schon gedruckt. Also, was?«
Tja, das hat man eben davon, wenn man die Kids von Anfang an auf das Erreichen guter Noten trimmt. Ein
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