Isch geh Schulhof: Erfahrung
bin’sch immer so traurig und sch’esse zu wenig. Deswegen machen wir jetzt ein Pause und deswegen …«
Sie springt wieder auf und beginnt ihren lustigen Tanz.
»… deswegen bin isch jetzt wieder total verrückt. Außerdem muss’sch aufs Klo. Darf isch? Ja? Ja? Ja?«
Ihre Worte sprudeln in Höchstgeschwindigkeit aus ihr heraus, also schicke ich sie zur Toilette. Hüpfend macht sie sich auf den Weg. Ich schaue ihr erstaunt hinterher und schüttele langsam den Kopf. Frau Sommer bemerkt meinen Blick und kommt zu mir.
»Krass, oder? Ich hab mir von der vorherigen Klassenlehrerin mal ein paar Infos über die Kids geben lassen. Nach der Stunde klär ich dich mal auf, ja?«
»Gerne«, antworte ich und wende mich der Sitznachbarin von Aygül zu.
Die heißt Nur-Çan, sitzt lustlos über dem Arbeitsblatt und kaut an ihrem Stift herum. Entweder ist sie deutlich älter als ihre Mitschülerinnen oder in ihrer körperlichen Entwicklung so weit voraus, dass man sie ohne Weiteres als pubertär bezeichnen kann. Ähnlich wie Müllschnitten-Jack aus der ersten Reihe wirkt sie in dieser Klasse wie ein Baum in einem Blumenladen. Ihrem lustlosen Gesichtsausdruck zum Trotz erkläre ich ihr, dass wir nicht mehr im Kindergarten sind, sie das Stiftekauen bleiben lassen soll, und entschwinde dann schnell ihrer Dunstwolke.
Am Tisch vor ihr gelange ich zu einem Jungen, hinter dessen Blick ich ein ziemlich schlaues Kerlchen vermute. Khalim ist sportlich gekleidet, hat eine pedantisch rasierte Boxerfrisur und sieht insgesamt nur wenig nach Höflichkeit aus – und doch ist sein Benehmen geradezu vorbildlich.
»Eigentlisch heiß isch Djihad«, erklärt er mir. »Aber dieser Name – er kommt hier nisch so gut an.«
»Weißt du auch wieso?«, frage ich ihn ernst.
»Ja, mein Boxtrainer, er hat mir erklärt. Er’s auch Araber, und er sagt, sch’soll nett sein zu eusch.«
»Wen meinst du damit?«
»Deutsche.«
Da haben wir aber Glück gehabt!
Neben Khalim sitzen die dicke Melek und die dürre Medina und kichern. Als ich frage, wie sie mit dem Arbeitsblatt vorankommen, kichern sie. Als ich sie frage, was denn so witzig sei, kichern sie wieder, und als ich leicht irritiert zum nächsten Platz gehe, kichern sie immer noch.
»Lacht ihr über mich?«, frage ich sie schließlich, denn noch immer fühle ich mich in der Gegenwart kichernder Mädchen latent ausgelacht.
»Herr Mülla«, erklärt mir Melek lächelnd, »nicht die ganze Welt dreht sich um Sie, okay?«
»Ist ja gut«, gebe ich zu und entferne mich mit einer beschwichtigenden Handbewegung. Weil ich mich in meinem leichten Egozentrismus erwischt fühle, werde ich ein bisschen rot. Peinlich.
In der ersten Reihe angekommen, treffe ich auf zwei Jungs mit den Namen Ali und Mohamed, deren Halsketten mit libanesischen Flaggen ihre Herkunft verraten. Beide haben buschige Augenbrauen und dunklen Flaum auf der Oberlippe. Sie lächeln mich unsicher an, als ich auf sie zukomme, und weil sie anscheinend noch nicht so lange in Deutschland leben, gestaltet sich das Gespräch mit ihnen ziemlich schwierig. Die Liste haben sie bereits abgeschrieben, aber das Arbeitsblatt bereitet ihnen große Probleme. Ich würde den beiden ja gern weiterhelfen, aber leider habe ich die Blätter nicht in arabischer Übersetzung parat.
Meine nächste Station ist der Tisch von Amir und Marcel. Amir, ein ordentlicher Junge mit Harry-Potter-Brille, erklärt seinem Nachbarn gerade geduldig das Arbeitsblatt. Diese Geduld scheint auch nötig zu sein, denn jeder Versuch von Marcel, die nächste Lücke im Text richtig zu füllen, scheitert. Mit verzweifeltem Blick schlägt Marcel sich an die Stirn und schüttelt den Kopf. Er trägt Armeehosen und ein Käppi. Als er meinen Blick bemerkt, überlegt er einen Moment und zieht sich dann schnell die Mütze vom Kopf.
»Herr Möller«, meldet sich Amir zu Wort. »Machen wir in Musik auch mal Harmonielehre oder singen wir nur so Lieder wie Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad ?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Das haben wir bei unserem vorherigen Musiklehrer immer gesungen.«
»Hat euch das gefallen?«, will ich von ihm wissen, woraufhin sämtliche Kinder im Umkreis von drei Metern energisch den Kopf schütteln.
»Na dann – singen wir’s nicht!«, erlöse ich die Kids und erkläre ihnen, dass wir im Musikunterricht hauptsächlich Dinge tun würden, die ihnen sicherlich Spaß machten.
»Aua, Mann, Khalim, du Wichser!«, unterbricht mich Melek kreischend und
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