Isch geh Schulhof: Erfahrung
endlich. »Von Gott!«
Na, herzlichen Glückwunsch: Religiös bedingte Intoleranz in der sechsten Klasse! Ich bin kurz davor, den Ausflug abzubrechen. Schließlich erklärt mir Oktay dann auch noch stolz, dass seine Mutter ihm das beigebracht habe. Um eine Begründung für das Homo-Verbot gebeten, ist es dann allerdings die sonst so stille Medina, die den weltanschaulichen Vogel abschießt.
»Weil Adam und Eva waren auch nicht schwul«, erklärt sie im vollen Brustton der Überzeugung. »Sonst würde es uns jetzt nicht geben.«
Ich stehe mit offenem Mund vor der Klasse und staune. Wie schafft man es bloß, Menschen von einem solchen Unsinn zu überzeugen? Ich dachte immer, das funktioniert nur bei Kleinkindern, denn die sind nun einmal darauf angewiesen, uns Erwachsenen jeden Quatsch abzukaufen.
»Aber Medina«, beginne ich noch immer leicht schockiert. »Adam und Eva haben nie existiert. Das ist nur ein Märchen, so wie Hänsel und Gretel oder Harry Potter. Wir Menschen wurden nicht gebastelt, sondern sind entstanden – so wie alle anderen Lebewesen auch.«
Nun starren mich die Kinder mit offenen Mündern an. Wo bin ich hier nur gelandet? Aber wenn ich schon dabei bin, denke ich mir, rücke ich gleich mit der ganzen Wahrheit heraus und erkläre, dass manche Männer sich halt in Männer verlieben und manche Frauen eben in Frauen.
Damit habe ich wohl einen empfindlichen Nerv getroffen. Die Kids stehen wie angewurzelt da und gucken, als hätte ich ihnen gerade erzählt, dass es keinen Weihnachtsmann gibt. Ob ich das noch hinterherschicken soll?
Nein, meine Entrüstung über diese Haltung verdirbt mir jeglichen Spaß an der Desillusion. Mir reicht’s. Strafspaziergang durch den Kiez! Volle fünfundvierzig Minuten. Vorbei an Männern, die Arm in Arm in knallengen Lederhosen durch die Straße laufen, an all den belebten Cafés mit Regenbogenflagge und fast ausschließlich männlichem Publikum. Schocktherapie gegen Homophobie. Die Kinder können schließlich nichts dafür, und auch deren Eltern wurde dieser Unsinn vermutlich schon im Kindesalter eingetrichtert.
Am Kreisverkehr des Platzes angekommen, drehe ich mich zu den Kids um, breite die Arme aus und heiße die Klasse herzlich wilkommen im Berlin des 21. Jahrhunderts, in dem jeder so schwul oder lesbisch sein darf, wie er oder sie will. Mit gespielter Einsicht schaltet sich Melek ein und erklärt mir, dass natürlich jeder machen könne, was er wolle, und widerspricht ihrer Pseudotoleranz schon im nächsten Satz: »Kumma: Gott hat es verboten, also sie sind alle Sünder!«
Auf die Frage, ob ich mit diesem gewissen Herrn Gott mal persönlich sprechen könne, verschränkt sie die Arme und schüttelt energisch den Kopf.
»Aber sch’wöre – es gibt ihm! Und du kannst nisch beweisen, dass es ihm nisch gibt.«
Im ersten Moment klingt das natürlich nach einem schlagkräftigen Argument, aber wenn ich an alles glauben würde, dessen Gegenteil ich nicht beweisen kann, dann wäre ich angesichts der Zwerge, Elfen, Götter, Einhörner und sonstigen Fantasiewesen auf diesem Planeten wahrscheinlich schon längst verrückt geworden. Dass die Beweislast für eine Behauptung beim Behauptenden liegt, ist ja schon für manch Erwachsenen schwer verdaulich, also muss ich mit einem Beispiel arbeiten.
Ich konfrontiere Melek mit der Aussage, in meinem Garten stehe ein unsichtbarer Dinosaurier, der allen Mädchen namens Melek verbiete, Süßigkeiten zu essen. Um meiner Aussage noch mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, schwöre ich am Ende meiner Ausführungen theatralisch auf den heiligen Saurus Rexus. Abschließend imitiere ich ihre Kinderargumentation inklusive Mundart.
»Und du kannst nisch beweisen, dass es ihm nisch gibt.«
Die Kids lachen sich kaputt, nur Melek ist sichtlich aufgebracht. Mit einem Lolli im Mund verschränkt sie die Arme vor der Brust und erklärt mir, dass sie mir kein Wort glaube. Dann wird sie still und denkt nach. Ich kann den sprichwörtlichen Groschen in ihrem Kopf fast fallen hören. Als sie verstanden hat, worauf ich hinauswill, kontert sie mit dem stärksten Argument, dass ich von einer Sechstklässlerin erwarten kann.
»Du bist doof!«, sagt sie entschieden und streckt mir ihre blau gefärbte Lolli-Zunge raus.
Auch Ali scheint meinen Dino-Vergleich verstanden zu haben.
»Auf jeden, kumma, kumma, Herr Mülla«, brüllt er begeistert. »Isch sage so: Eine durschsischtige Geist, er hat mir verboten Hausaufgaben, Dings. Dann du musst mir auch
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