Isch geh Schulhof: Erfahrung
nisch glauben.«
Zufrieden stimme ich ihm zu. Nachdem ich der Klasse also die Grundzüge des kritischen Denkens verdeutlicht habe, setzen wir unseren Spaziergang durch den Kiez fort. Obwohl dieses Areal nur wenige Kilometer Luftlinie vom Wohnort meiner Schüler entfernt ist, erwecken einige von ihnen den Eindruck, als seien sie auf einem anderen Stern gelandet. Um Missverständnissen vorzubeugen, nehme ich mich gegen Ende unseres Spaziergangs noch einmal der etwas verwirrten Fraktion um Melek und Oktay an und erkläre ihnen, dass hierzulande jeder das Recht habe zu glauben, woran er will. Ich verdeutliche ihnen auch, dass die Vorschriften eines Glaubens immer nur für diejenigen gelten, die dieser Glaubensgemeinschaft angehören – nicht für andere.
»Glaubt, was ihr wollt, und macht, was ihr wollt, solange ihr die Freiheiten anderer damit nicht verletzt. Okay?«, schließe ich meine kleine Lektion ab, als wir unser Ziel erreichen.
Das Chaos auf der Bowlingbahn ist nicht größer als erwartet, und so verläuft der restliche Ausflug relativ gelassen.
Doch die Nachricht von meiner spontanen Unterrichtseinheit in Sachen Selbstbestimmungsrecht scheint in der Schule schnell die Runde gemacht zu haben. Schon am nächsten Tag kommen zwei unbekannte Schülerinnen auf mich zu.
»Herr Mülla, glaubst du bei Gott?«, fragt mich eine der beiden.
Ich schüttele lächelnd den Kopf.
»Sch’asse disch!«, sagt sie und schaut mich dabei todernst an.
»Glaubst du Jesus?«, fragt die andere.
Wieder schüttele ich den Kopf.
»Dann is gut.«
21
Voll Porno, Alta!
N ur ein paar Wochen nach unserem spannungsgeladenen Ausflug an den Gärtnerplatz erreicht mich beim Betreten des ranzigen Lehrerzimmers eine Anfrage, die auf weitere packende Erlebnisse schließen lässt.
»Sag mal Philipp«, ruft eine Kollegin durch den großen Raum, als sie mich erblickt. Sie leitet eine der sechsten Klassen und gehört zu den eher jüngeren Damen unseres Teams. Mit wallendem blondem Haar rauscht sie auf mich zu und trägt ihr Anliegen vor. »Traust du dir zu, mit den Jungs aus meiner Sechsten sexuellen Aufklärungsunterricht zu machen?«
Da ich zögere, erklärt sie mir, dass sie alle Inhalte bereits vorbereitet habe, aber wegen des Themas unbedingt einen jungen Mann für diese Aufgabe einsetzen wolle.
»Muss es denn unbedingt ein Mann sein?«, frage ich sie, ziehe diese Frage aber aufgrund eigener Beschränktheit sofort zurück. Klar muss es ein Mann sein! Ich stimme also widerwillig zu und meine Kollegin atmet erleichtert auf. Anhand der Beschreibung ihrer Schüler kann ich mir schon jetzt gut vorstellen, was mich morgen erwartet: ein Haufen frühpubertierender Möchtegern-Machos, die meinen, alles zum Thema Sexualität zu wissen, genaugenommen aber keine Ahnung haben.
Meine Kollegin zeigt mir ihre Unterlagen und skizziert den Ablauf der Doppelstunde. Am folgenden Tag betrete ich den kleinen Raum, in dem die Jungs bereits versammelt sind.
»Züüüsch, Herr Mülla, wir machen Porno-Unterricht, iebergeil«, begrüßt mich einer von ihnen.
Da ich die Klasse bisher kaum kenne, stelle ich mich vor, lasse die obligatorischen Namensschilder basteln und schärfe den Jungs ein paar Regeln ein. Dazu gehört das Verbot, jemanden für seine Fragen auszulachen oder sich schlüpfrige Geschichten auszudenken.
Mohammed aus der ersten Reihe glänzt mit einem passenden Kommentar.
»Isch hab schomma ein Olle geknallt«, ruft er stolz.
Mein mildes Lächeln versteht er richtig und entschuldigt sich für diesen unglücklichen Einstieg. Seine fragwürdige Wortwahl nutze ich für die Ankündigung unserer ersten Aufgabe: das Einordnen von Begriffen in drei Kategorien, die ich auf gelben Zettelchen an die Tafel hänge. Mit meiner Hilfe sollen die Kids erörtern, welche Begriffe biologische Bezeichnungen darstellen, welche eher verniedlichend und welche Beleidigungen sind, die man sich besser verkneift.
»Meinen Sie so was wie Fotze?«, fällt Dragan aus der zweiten Reihe ein.
Weil dieses Wort mich immer erst einmal zusammenzucken lässt, schaue ihn einen Moment streng an, erinnere mich dann aber daran, dass es heute genau darum geht. Also werfe ich ihm ein Stück Kreide zu und fordere ihn auf, das Wort unter den entsprechenden Zettel zu schreiben. Während er schreibt, erkläre ich, dass Dragan damit einen Jackpot geknackt hat und sich niemand darüber wundern soll, für dieses Wort einen Tritt zwischen die Beine zu bekommen.
»In die Eier?«, fragt
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