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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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Mutter ihr Geld verdient, frage ich besser nicht. Beim letzten Mal endete das in Tränen.
    Ich gebe also den Startschuss für unser kleines Abenteuer und erinnere die Kinder daran, dass sie sich auf ein Gespräch mit Herrn Geier freuen können, wenn sie aus der Reihe tanzen. Und damit wird es still. Außer ein paar leisen und andächtigen »Ohaaaaaaa« und »Züüüüüüüsch« ist kein Wort mehr zu hören. Der Typ hat’s echt drauf, denke ich mir. Die Kids respektieren und mögen ihn.
    Nach nur wenigen Minuten und ein paar Schubsereien hat sich die Klasse darauf geeinigt, wer nebeneinander läuft, vorne und hinten geht. Die Schlange hat sich formiert, wir gehen los. Zwei Stopps später – inklusive der Androhung, noch einmal in den Klassenraum zu gehen oder den Ausflug ganz abzubrechen und stattdessen für die Deutscharbeit zu üben – stehen wir vor dem Schulgebäude, wo aus der Schlange wie erwartet nun eher ein Haufen geworden ist. Der Fußweg verläuft ohne weitere Zwischenfälle. Niemand rennt auf die Straße oder bewirft fahrende Autos mit Müll, es finden nur wenige Streits statt, und bei roten Ampeln bleiben manche Schüler sogar ohne mehrmalige Anweisung stehen.
    An der U-Bahn-Station wird es dann schon spannender. Hier muss ich nun vor Publikum beweisen, dass ich die Meute im Griff habe. Einige Fahrgäste stehen bei unserem Anblick direkt auf und fliehen aus dem Waggon. Hab ich auch schon oft gemacht. Ja, ist schon hart, aber irgendjemand muss es ja tun!, gebe ich den übrigen Passagieren mit Blicken zu verstehen und mache mich an die Feinabstimmung.
    »Samira: Nimm die Füße runter! Rico: Weg von der Tür! Ali, Enis und Khalim: leiser!«
    Klappt doch. Eine ältere Dame nickt mir respektvoll zu. Mit einem langsamen Kopfnicken und einem freundlichen Lächeln gebe ich ihr zu verstehen, dass dies meine leichteste Übung sei.
    Wenn die wüsste …
    Während der Fahrt haben die Mädels um Samira herum einen Mann mit langen Haaren entdeckt, zeigen auf ihn und kichern. Einige Jungs erzählen sich gegenseitig Lügengeschichten und schwören danach auf Gott und ihre Mutter, alles sei genau so passiert. Bis die freundliche U-Bahn-Stimme den Gärtnerplatz als nächste Station ankündigt, verläuft die Fahrt also ohne nennenswerte Zwischenfälle.
    »So, Leute, wir steigen aus!«, rufe ich durch den Waggon.
    Die Kids sammeln sich an den Türen, streiten sich heftig um die Betätigung des Türöffners und stürmen dann auf den Bahnsteig. Dort angekommen, zähle ich mühevoll durch und gebe der Truppe dann zu verstehen, dass wir gemeinsam und NUR gemeinsam nach oben gehen, um dort zu entscheiden, wie wir die restliche Zeit verbringen. Geierchen hat wohl auf dem Weg hierher mit vielem gerechnet, denn wir haben noch eine knappe Stunde Zeit bis zu unserem Termin auf der Bowlingbahn.
    »Herr Mülla, wir könnten doch schon Bowling gehen und da chillen und Klingeltöne verschicken«, erreicht mich bereits auf dem Weg nach oben der erste Vorschlag, den ich natürlich direkt abschmettere.
    Stattdessen schlage ich einen Spaziergang durch den Gärtnerkiez vor, denn obwohl der Sommer eindeutig vorüber ist, herrscht draußen noch recht sonniges und mildes Wetter. Meine Idee stößt auf wenig Begeisterung. Mal wieder scheinen die Kids den Charakter meiner Vorschläge zu unterschätzen: Ein Vorschlag ist kein Vorschlag, sondern eine Anordnung! Oben angekommen, möchte ich die heimatkundlichen Kenntnisse meiner Klasse auf die Probe stellen und frage in die Runde, wo wir uns nun befinden.
    »Gärtnerplatz, vallah!«, ruft Oktay missmutig aus dem hinteren Teil der Kindertraube, die ich um mich geschart habe.
    »Genau, Oktay. Wisst ihr auch, wofür diese Gegend berühmt ist, wer hier so wohnt?«
    »Sch’weiß nisch«, überlegt er. »Opfer? Juden?«
    Bevor mir die Tragweite seiner Gedanken bewusst wird, kläre ich ihn darüber auf, dass es sich beim Gärtnerplatz um Berlins berühmtesten Schwulenkiez handelt.
    Allgemeine Bestürzung bricht aus. Einige der Mädels verstecken sich ängstlich hinter ihren Freundinnen. Angeekelte Gesichter mischen sich mit hysterischem Gelächter.
    »Wo hast du uns hingebracht, Herr Mülla? Bist du verrückt?«, fragt Aygül.
    Ich weiß natürlich, dass das Thema Sexualität – vor allem Homosexualität – in diesem Alter zu Lachsalven führt, aber das hier ist etwas anderes. Die Klasse wirkt völlig verstört auf mich, nahezu entrüstet.
    »Herr Mülla, Schwulheit ist verboten«, erklärt mir Oktay

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