Isch geh Schulhof: Erfahrung
diverse Hundert-Euro-Scheine abdrücken muss, hat sich die florierende chinesische Plagiatindustrie des Problems angenommen und kurzerhand die türkischen Straßenmärkte mit ihrem kopierten Schrott überflutet. Nachdem ein Großteil meiner Schüler also in den letzten Sommerferien ›Türkei gegeht hat‹, werden mir tagtäglich Ed-Hardy-Produkte verschiedenster Couleur zugemutet: Federtaschen, Lineale, Hefter, Hosen, Jacken, Schultaschen, Mützen – alles, was das Pseudo-Luxus-Herz begehrt.
»Was glotzt ihr denn so? Noch nie ’n Model jesehen?«, pöbelt das Fashion Victim, als ich mit meiner Klasse vorbeigehe. Die Lache seiner Kumpels über diesen gar nicht mal so schlechten Spruch lässt auf einen ungefähren IQ im Bereich der Außentemperatur schließen.
»Model?«, fragt Samira verwundert und bleibt mit den Händen in den Hüften stehen. Nachdem sie ihm empfahl, sich einen Spiegel und wirksame Produkte gegen seine Akne zu kaufen, zieht er noch einmal tief an seiner Zigarette und bläst ihr den Rauch ins Gesicht. Diese Reaktion lässt deutlich erkennen, dass ihr Spruch gesessen hat.
»Was denn, du kleine Schlampe, soll isch disch mal …«
»Ist gut jetzt!«, schalte ich mich ein und schiebe Samira weiter.
Meine restlichen Schüler lachen ihn im Vorbeigehen allesamt aus, was ich irgendwo zwischen Mut und Leichtsinn ansiedeln würde – der Unterschied ist ja bekanntlich nicht besonders groß. Provoziert durch das Gelächter der Klasse wirft der Junge Samira noch mehrmals die Beleidigung hinterher, von der ich immer noch nicht weiß, ob man sie mit F oder V am Anfang schreibt. Ist mir auch egal.
Wir landen in einem Foyer, das dem unserer Schule in Sachen Sauberkeit in nichts nachsteht, und werden von der Konrektorin, einer großen, hageren Dame mit feuerrotem Haar, empfangen. Sie führt uns in einen großen Computerraum, der im Gegensatz zu unserer Schule bereits mit Flatscreens ausgestattet ist. Trotz seiner Größe und der vielen Fensterflächen schafft es dieser Raum, unfassbar hässlich zu wirken. Ich schwöre meine Schüler noch einmal darauf ein, sich gut zu benehmen, woraufhin sie mir lauthals und in Anwesenheit der Konrektorin erklären, dass sie sich hier sowieso nicht bewerben würden.
Gut, dass wir hier sind, denke ich mir, und schreibe dem prächtig gefüllten Konto der vergeudeten Personalkosten wieder ein paar Stunden gut. Mithilfe der Regeln, welche die Konrektorin meinen Kids erklärt, mache ich mir ein Bild von der Schule. Es ist düster, und in der Galerie meiner Fantasie hängt es in der Abteilung FSK 18. Nein: 21.
»Wir legen großen Wert auf Gemeinsamkeit«, erklärt die Konrektorin mit hoher Stimme. »Und wer sich an diese Regeln nicht hält, den schließen wir von der Gemeinschaft aus.«
Was kann ich mir denn bitte darunter vorstellen? Dass die Schule irgendwann leer ist?
Egal. Weil ich heute noch nichts gegessen habe und inzwischen spürbar unterzuckert bin, nehme ich einen leichten Kopfschmerz wahr. Also bitte ich die Konrektorin, während der Führung auf meine pädagogischen Kompetenzen zu verzichten. Sie empfiehlt mir, nach meinem Imbiss einen Besuch bei der Schulleiterin, Frau Meyer, einzulegen, da diese noch ein paar Informationen für mich hätte. Dann verabschiedet sie sich mit den Kids zum Rundgang durch das mausgraue Schulgebäude. Als Letzter läuft Amir der Truppe hinterher. Er schaut mich kurz traurig an, dann auf den Boden und schüttelt langsam den Kopf. Ich klopfe ihm verständnisvoll auf die Schulter und begebe mich in die Mensa, die ich beim Betreten dieses Schulknasts schon entdeckt habe.
Dort angekommen, wird mir klar, dass Tom mir bei unserem ersten Gespräch am Schuljahresanfang keinen Mist erzählt hat: Unsere Schule rangiert tatsächlich im Mittelfeld! In den Top Ten der unattraktivsten Arbeitsplätze für Akademiker hat diese Oberschule vermutlich beste Chancen auf einen Platz auf dem Treppchen. Auf dem Weg zur Essensausgabe lerne ich, dass drei von vier Schülern das schlimmste Wort der deutschen Sprache mit F schreiben und einer mit V – zumindest an der Wand. An den versprengten Tischen sitzen lustlose Prolls und finstere Gestalten, die von aufgebrezelten Tussen umgarnt werden. Ich versuche, möglichst unauffällig durch den Saal zu schleichen, doch ein paar Jungs nehmen mich wahr und fragen gut hörbar: »Wer ist er, ja?«
Das ist eine merkwürdige Situation für mich. Bevor ich als Lehrer gearbeitet habe, gehörte ich zu den eher ängstlichen
Weitere Kostenlose Bücher