Isch geh Schulhof: Erfahrung
davon.
Ich gucke ihm hinterher und überlege mir Konsequenzen. Mal schauen, was die Klassenlehrerin dazu sagt, denke ich, und setze meinen Kontrollgang über den Hof fort.
Doch ich komme nicht weit, denn während ich mich mit dem Beseitigen diverser Rotz- und Sandreste in meinem Gesicht beschäftige, muss ich wohl unaufmerksam gewesen sein. Weil es auf unserem Hof keinen separaten Fußballplatz gibt, müssen die Jungs der fünften und sechsten Klassen zwangsweise mitten auf dem Hof spielen.
Mit prall aufgepumpten Lederbällen, versteht sich.
Einige der Jungs lassen sich kaum noch als Kinder bezeichnen und haben dementsprechend kräftige Schüsse. Eine meiner Kolleginnen hat schon zwei unfreiwillige Kopfbälle und anschließende Krankschreibungen wegen leichter Gehirnerschütterungen hinter sich. Nun bin ich also dran – musste ja irgendwann mal passieren!
Der Ball trifft mich von der Seite auf Wange, Ohr und Auge. Ich torkele leicht, sehe ein paar Sterne und kann nach ein paar Sekunden blinzeln und Augenreiben auch wieder etwas sehen. Vor mir stehen die Spieler beider Mannschaften und starren mich erwartungsvoll an. Schnell sammeln sich weitere Schüler, sodass ich binnen Sekunden inmitten einer Schar Kinder stehe.
»Ohaaaaa, Herr Mülla! Er wird gleich iebersauer!«
»Er hat Ball in Fresse bekommen, vallah, sch’wöre – jetzt gipps Tadel!«
Der Schütze steht mit dem Ball in der Hand vor mir und wimmert kleinlaut seine Entschuldigung, wobei er fast anfängt zu heulen.
»Schon gut«, beruhige ich ihn. »Ihr habt ja keinen anderen Platz zum Spielen. Pass einfach besser auf, ja?«
Zehn Minuten der Pause sind vorbei. Die Bilanz: Zweimal vollgerotzt und einen Fußball an den Schädel bekommen. Mal sehen, was sonst noch passiert.
Ich sehe meine Kollegin, die am Rand des Hofes steht, ihr Wurstgraubrot isst und in die Ferne starrt. Nach zwanzig Berufsjahren ist das wahrscheinlich normal, doch damit stehen nun wohl alle sechshundert Kids unter meiner Aufsicht.
»Herr Mülla, Herr Mülla!«
Der nächste Auftrag.
Görkan aus der Sechsten, einer der Schulbosse, hat einem Viertklässler ins Gesicht geschlagen. Meiner Einschätzung nach ist er mindestens Achtklässler. Bei der Einbürgerung gab es keine Geburtsurkunde, also mussten sich die Behörden auf die Altersangabe seiner Eltern verlassen. Wahrscheinlich wurde er im dritten Mond nach dem großen Sturm geboren, doch damit können unsere Kalender nicht viel anfangen.
Während ein paar Mitschüler sein Opfer mit blutender Nase ins Sekretariat abtransportieren, gehe ich zu Görkan und frage ihn verärgert, warum er ständig Mist baue. Wie ein Fels in der Brandung steht er vor mir und lächelt müde. Trotz meiner Körpergröße muss er kaum nach oben gucken. Er zuckt mit den Schultern und bringt den Spruch, der sich wie ein Virus an unserer Schule verbreitet hat: »S’miregal!«
»Du fliegst bald von der Schule, Alter«, entfährt es mir.
»S’miregal!«
Auch auf meine Frage nach dem weiteren Verlauf seiner Schullaufbahn findet er keine andere Antwort. Görkan ist alles egal, und angesichts seiner Perspektivlosigkeit würde es mir vielleicht genauso gehen.
Ich weise ihn darauf hin, dass er von den Eltern des Jungen eine Anzeige wegen Körperverletzung bekommen kann.
»Sch’weiß. Sch’ab schomma gekriegt«, antwortet er und kann sich ein kurzes, stolzes Lächeln nicht verkneifen.
»Soll ich dich zur Schulleitung begleiten, oder gehst du alleine hin?«, frage ich resigniert.
Welche Strafe ihm dort droht, kann ich kaum einschätzen, denn das hängt ganz davon ab, wer seinen Fall bearbeitet und welche Laune derjenige heute hat. Einen verbindlichen Maßnahmenkatalog oder eine zentrale Datenbank für die bisherigen Regelbrüche der Kids habe ich an unserer Schule nämlich vergeblich gesucht, und so muss jede Konsequenz wie auf einem Basar neu verhandelt werden – blöder geht’s wohl kaum!
»Allein«, erklärt er mir selbstbewusst.
Er richtet den Kragen seiner Jacke auf und stolziert drauflos, sodass die umherstehenden Schüler respektvoll zurückweichen. Von denen muss ich mir jetzt auch noch erklären lassen, was passiert ist.
»Kumma, kumma, Herr Mülla«, fängt einer hektisch an.
»Ja, ich gucke«, sage ich betont langsam, um ihn etwas zu beruhigen. Ohne Erfolg.
»Kumma: Erst Mert-Çan geht so zu ihn und sagt so: ›Dings, geh ma jetz, ja?‹ Dann Görkan sagt so: ›Was, ja?‹, dann er sagt so: ›Züüüüüüsch, dein Mutta!‹«
Ein
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