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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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Zeitgenossen. Schon der kleinste aggressive Blick – selbst von körperlich deutlich unterlegenen Typen! – hat gereicht, um mir zumindest ein mulmiges Gefühl einzujagen. Ich habe meine Jugend in Berlin-Reinickendorf verbracht, einem sehr großen Bezirk mit einem sehr starken sozialen Gefälle. Als ich mit dem Eintritt in die Oberschule erstmals in die krasseren Gegenden in Reinickendorf-Süd, vor allem aber ins Märkische Viertel vorstieß, häuften sich die Situationen, in denen ich angepöbelt oder abgezogen wurde. Weil ich meist der Größte in unserer Gruppe war und ein ungeschriebenes Gesetz unter testosteronbeladenen Streithähnen lautet, immer zuerst den vermutlich Stärksten einer Gruppe einzuschüchtern, sah ich mich oft mit Typen konfrontiert, die mich dazu aufforderten, ihnen mein Geld oder meinen Walkman zu geben – oder mich ganz einfach nur zu verpissen. Irgendwann, nachdem mein Körper ausreichend in die Höhe geschossen war, holten auch meine bis dahin schmächtigen Schultern und mein Brustkorb auf, und als ich am Ende meiner Pubertät endlich nicht mehr aussah wie ein Kleiderständer, wurden die Pöbeleien seltener und hörten irgendwann ganz auf. Was jedoch geblieben ist, ist meine vollkommene Unfähigkeit, mit den Drohgebärden männlicher Rivalen umzugehen.
    In meinem Job als Lehrer bin ich jedoch gezwungen, diesen Umgang mehr und mehr zu erlernen, und so habe ich in den letzten Monaten eine autoritäre Ausstrahlung entwickelt, welche die Stressmacher meist davon abhält, sich in irgendeiner Form mit mir anzulegen. Aber hier an der Oberschule sind die Muskeln der Jungs schon deutlich ausgeprägter, viele wandern auf meiner Augenhöhe durch den Saal und der Geruch von Pubertät liegt förmlich in der Luft. Testosteron und Östrogen – entgegen der landläufigen Meinung sind diese Hormone wirklich riechbar!
    Und nicht nur die Jungs machen auf mich den Eindruck, als sei der pädagogische Umgang mit ihnen eine deutlich größere Herausforderung als an der Grundschule, nein: Auch die Mädels wirken nicht gerade so, als seien sie willens oder in der Lage, sich mit Relativpronomen, Algebra oder der Geschichte des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Einige von ihnen glotzen mich im Vorbeigehen ungeniert an, mustern mich von oben bis unten, andere machen Kaugummi kauend sogar den Eindruck, als würden sie mich gleich um ein Date bitten.
    Trotzdem ich innerlich aus mehreren Gründen schwer irritiert bin, versuche ich, mir äußerlich nichts von meiner Unsicherheit anmerken zu lassen. Ich stelle mich am Ende der Schlange zum Essen an und sehe mich im Raum um, bevor ich mich der Speisekarte widme. Ein Blick in die Auslage macht allerdings deutlich, dass sämtliche ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse der letzten zwanzig Jahre auch an dieser Schule nicht bekannt sind. Pizza, Schoko-Croissants und Waffeln mit Puderzucker. Dazu das Trio infernale der Erfrischungsgetränke: Cola, Fanta und Sprite.
    Da ich wirklich Hunger habe, entscheide ich mich für die Pizza. Ein paar Jungs hinter mir haben wohl den gleichen Gedanken und tauschen sich lautstark darüber aus.
    »Sch’nehm Pizza«, sagt eine hohe Teenagerstimme.
    »Pizza macht spizza, Alta«, entgegnet eine tiefere.
    »Vallah, Döner macht schöner, du Muschi, sei ma leise jetzt, ja?«
    Dann fällt dem anderen etwas ein.
    »Sch’wöre, letzte Mal sie hatten kein Pizza mehr, diese Hurentöschta.«
    »Was? Sch’wöre, wenn sie kein Pizza mehr haben, dann isch bringe sie um!«
    Mit einem Faustschlag auf die Tablettablage unterstreicht er die Ernsthaftigkeit seiner Aussage, was mich endgültig vergessen lässt, mich an einer Oberschule zu befinden. Ich drehe mich ruckartig um und gebe den Jungs mit einem einzigen Blick zu verstehen, dass sie sich ein bisschen zusammenreißen sollen.
    Glaube ich zumindest.
    Doch mein Image als strenger Lehrer existiert hier nicht, und auch meine 1-Meter-90-Gestalt scheint die Jungs nicht zu beeindrucken. Der größere von beiden, ich schätze ihn auf ungefähr hundert Kilo bei 1,70 Metern, fühlt sich direkt provoziert und pöbelt mich ohne Vorwarnung an.
    »Was guckst du so, du Schwuchtel?«
    Das ist nicht das erste Mal, dass ich von solchen Typen als Schwuchtel bezeichnet werde. Merkwürdig.
    Jetzt gilt es allerdings, cool zu bleiben. Die Aufmerksamkeit der gesamten Mensa gilt nun mir und dem Pulverfass. Spontan entscheide ich mich für die Risikovariante. Mit einer duckmäuserischen Reaktion wie »Schon gut!«

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