Isch geh Schulhof: Erfahrung
oder »Sorry!« komme ich hier sowieso nicht weiter. Schließlich handelt es sich immer noch um einen Schüler. Außerdem habe ich noch ein Ass im Ärmel.
Ohne meine Augenbrauen auch nur einen Millimeter anzuheben, reiße ich meine Augen so weit wie möglich auf und lasse einen Moment verstreichen. Dann bitte ich ihn in aller Ruhe um seinen Namen.
Das bringt ihn allerdings noch mehr in Rage.
»Was, meinen Namen? Warum willst du meinen Namen wissen, du Schw…«
»Name und Klasse!«, sage ich lauter, tiefer und mit der Selbstverständlichkeit eines Lehrers. Das scheint er zu registrieren und zeigt erste Risse in der Fassade.
»Wieso, bist du Lehrer, oder was?«
»Ich habe gleich einen Termin bei Frau Meyer«, gehe ich seiner Frage aus dem Weg. »Die kennt dich doch bestimmt, oder?«
Jetzt habe ich ihn. Genauso wie die Youtube-Legende, die sich, ohne es zu wissen, mit dem wahrscheinlich berühmtesten Türsteher Deutschlands anlegt, schaltet er von einer Sekunde auf die andere um.
»Meinen Sie unsere Schulleiterin?«, fragt er betreten.
Auf meine Frage, ob es hier noch eine andere Frau Meyer gebe, schaut er sich unsicher um. Die Anwesenden haben längst gemerkt, dass es zu keiner Schlägerei kommt, und sich daher gelangweilt abgewandt. In seinem besten Sonntagnachmittagton bittet er mich, den Vorfall nicht der Schulleiterin zu melden, was ich ihm mit einem kurzen Nicken zusichere. Dann bestelle ich statt der unappetitlich anmutenden Pizza einen Schokoriegel gegen meine Kopfschmerzen und ein Wasser gegen die trockene Kehle und verlasse die Mensa in Richtung Schulleitungsbüro. Frau Meyer scheint ja einen ganz guten Ruf zu haben.
Am Büro angekommen, öffnet mir eine ausgesprochen freundliche Frau die Tür und stellt sich mir als Schulleiterin vor. Wegen meiner Kopfschmerzen entschuldige ich mich für den Verzehr des Schokoriegels und lasse sie ein wenig von ihrer Schule erzählen. Dass sich keiner meiner Schüler hier bewerben will, sage ich ihr nicht. Das weiß sie bestimmt auch so.
Sie berichtet mir davon, dass die Schule vier Jahre lang ohne Schulleitung auskommen musste, bevor sie eingestellt wurde. Warum, sei ihr zwar unklar, aber es habe dazu geführt, dass die Bezirksverwaltung die Schule als Abstellgleis für sämtliche Schüler genutzt habe, die woanders nicht aufgenommen wurden. In dieser Zeit seien jegliche pädagogischen Konzepte den Bach hinuntergegangen, und bei ihrer Ankunft habe sie Zustände vorgefunden, die sie eher in einem Jugendknast erwartet hätte. Deswegen fahre sie eine sehr harte Linie, um wenigstens schulähnliche Zustände herzustellen.
»Obwohl ich es am Anfang sehr schwer gehabt habe, von den Schülern ernst genommen zu werden«, räumt sie selbstbewusst ein, was ich sehr sympathisch finde.
Das Gespräch tut uns beiden offensichtlich gut, denn wir plaudern angeregt über unsere Erfahrungen in Berliner Schulen. Weil sie schon verschiedene Bezirke kennengelernt hat, erzähle ich ihr, dass ich bald Vater werde, und frage sie spontan nach einem Tipp für einen Wohnort, der für ein stabiles soziales Umfeld und entsprechend funktionierende Schulen bekannt ist. Nach einem lauten Lachen überlegt sie einen Moment, doch dann fällt ihr auf, dass sie über solche Fragen als Mutter nie nachdenken musste. Ihre Kinder sind in meinem Alter und wurden in den Achtzigern eingeschult, da waren fast alle Regelschulen noch intakt.
»Ich glaube, ich würde nach Potsdam ziehen. In Berlin haben Sie nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera.«
Meinem fragenden Blick begegnet sie mit einem Verweis auf den Berliner Sozialatlas, auf dem die roten Flecken immer größer und die grünen immer kleiner werden. Und auch in den grünen Bereichen wie Prenzlauer Berg, Mitte oder Zehlendorf, warnt sie mich, sei der Schulalltag nicht unproblematisch. Das falsche Handy oder uncoole Klamotten reichten an vielen Schulen schon aus, um ein Kind ins soziale Abseits zu befördern.
»Es tut mir leid, aber nach dem, was ich in den letzten Jahren mitbekommen habe, will ich Ihnen keine Hoffnung machen.«
Ich verabschiede mich, sammele die Kinder wieder ein und lasse mir von der Konrektorin bestätigen, dass sie sich nur ein bisschen danebenbenommen haben. Ihrem Gesichtsausdruck ist deutlich zu entnehmen, dass sie Schlimmeres gewöhnt ist. Weil auch meine Schüler etwas schockiert von diesem Ausflug sind, verläuft der Rückweg ausgesprochen ruhig.
Zu Hause kann ich Sarah hinter ihrem Bauch kaum noch entdecken. Der
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