Isch geh Schulhof: Erfahrung
Geburtstermin ist zwar erst in sechs Wochen, aber für meine Begriffe sieht Sarah so aus, als könnte es jeden Moment losgehen. Weil die Vorstellung, bald unser Kind im Arm zu halten, nun auch für mich immer greifbarer wird, berichte ich meiner Freundin von dem Tipp der Rektorin, auf der Suche nach guten Schulen in einer kinderfreundlichen Umgebung nach Potsdam zu ziehen. Sie überlegt einen Moment, schüttelt dann aber den Kopf.
»Ich will auf jeden Fall in Berlin bleiben«, sagt sie entschieden. Dann erinnert sie mich an unsere Freunde, die um die Ecke wohnen, an meine Eltern, die ebenfalls in Berlin leben, und an die ungezwungene Stimmung dieser Stadt, an die Lebensfreude, die Vielfalt und die damit verbundenen Freiheiten.
»Ich hab als Jugendliche fünf Jahre in Baden-Baden gelebt«, hält sie mir vor Augen, »das hat mir gereicht!«
25
Irgendwann ist immer das erste Mal
D ie Schreie gehen uns durch Mark und Bein. So etwas haben wir noch nie gehört, nicht einmal im Fernsehen. Bei jedem Schrei aus dem benachbarten Kreißsaal drückt Sarah meine Hand ein bisschen doller. Der Kreißsaal ist übrigens gar nicht rund, was ich bei der Besichtigung des Krankenhauses vor ein paar Wochen ziemlich verwirrend fand.
Es ist mitten in der Nacht, wir befinden uns in einem kleinen Untersuchungsraum auf der Geburtsstation und warten auf eine Ärztin. Gerade eine Stunde ist es her, dass unser Töchterchen sich angekündigt hat. Wir waren uns nicht ganz sicher, denn der errechnete Geburtstermin ist schließlich erst in drei Wochen, sind aber vorsichtshalber ins Krankenhaus gefahren.
Auf eine vorzeitige Geburt sind wir natürlich nicht vorbereitet. Keine Krankenhaustasche gepackt, keine Lieblingsmusik dabei, kein geruchsarmes Essen für mich mitgenommen. Das sei total wichtig, erklärte uns unsere Hebamme im Vorfeld, denn die Geruchsnerven einer Frau in den Wehen seien sehr empfindlich. Genau wie all ihre anderen Nerven auch. Ich solle mich deshalb darauf vorbereiten, während der Geburt von meiner Frau angeschrien zu werden. Eventuell auch beschimpft.
Na und?
Die Ärztin betritt das Zimmer, beginnt mit der Untersuchung und erklärt uns nach ein paar Handgriffen, dass unsere Tochter noch heute Nacht zur Welt kommen werde.
Krass. Tochter. Heute. Welt.
Wegen der Aufregung und der Müdigkeit funktioniert mein Gehirn nur noch stockend.
Die Ärztin schließt Sarah an den Wehenschreiber an, studiert die Werte und erklärt uns, dass die Geburt erst in ein paar Stunden losgehen werde. Wahrscheinlich erst gegen Mittag. Weil es aber erst kurz nach Mitternacht ist, bekomme ich den Auftrag, nach Hause zu fahren, die Krankenhaustasche zu packen und mich mit dem Handy in der Hand schlafen zu legen. Sarah dagegen bekommt ein Zimmer auf der Geburtsstation und wird rund um die Uhr beobachtet. Gesagt, getan. Ich lasse sie jetzt zwar nur ungern allein, aber ein paar Stunden Schlaf könnten mir guttun. Schließlich werde ich heute noch Vater!
Krass. Heute. Vater. Auto. Autobahn. Parkplatz. Haustür. Treppe. Tasche. Bett. Schlafen.
Trotz meiner massiven Müdigkeit kann ich vor Aufregung natürlich nicht einschlafen. Siebenunddreißig Wochen hatte ich Zeit, mich emotional darauf vorzubereiten, bald ein Kind – mein Kind! – in den Armen zu halten, und doch haut es mich schon jetzt total um. Wie soll ich die Geburt bloß überstehen? Man hört ja die schlimmsten Geschichten von diesem Gemetzel. Hoffentlich kippe ich nicht um.
Quatsch, Möller, jetzt reiß dich zusammen, Sarah braucht dich!
Mit diesen Gedanken falle ich schließlich in einen traumlosen Tiefschlaf. Gefühlte fünf Minuten später klingelt mein Telefon. Sarah ist dran, sie klingt irgendwie komisch – als würde sie gleich ein Kind kriegen.
»Du musst herkommen!«
»Wie, jetzt schon? Ist ja nervig!«
Ich bin wohl noch nicht ganz wach.
»Mann, du Arsch, deine Tochter kommt gleich zur Welt, du kommst jetzt sofort her!«
»Schon gut, bin unterwegs!«
Ein Blick auf die Uhr verrät, dass ich weniger als zwei Stunden geschlafen habe. Immerhin.
Anziehen. Tasche. Schlüssel. Auto. Autobahn. Hundert. Bremsen. Blitzer. Stand im Geburtsratgeber: »Prüfen Sie die Strecke zum Krankenhaus auf Radarfallen!« Danke, Claus Hipp! Dann wieder Hundert. Ausfahrt. Sechzig. Storchenparkplatz. Krankenhaus verschlossen. Klingeln.
»Ich muss zu Sarah Lichtenstein, ich bin der Vater.«
»Wessen Vater?«
Die Stimme aus dem Lautsprecher klingt verwirrt.
»Na, von dem Kind«, erkläre ich
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