Isch geh Schulhof: Erfahrung
anstarre (immerhin ist er Muslim), erklärt er mir, dass er ein ganz normales Leben führe – bis auf die Tatsache, dass er seit zwei Jahren mit einem Mann zusammenlebe.
»Wie? So richtig zusammen?«, stottere ich.
»Ja, so richtig«, entgegnet er und lacht. »Wir lieben uns. Wir sind ein schwules Paar – was natürlich nicht heißt, dass du dir jetzt irgendwelche Sorgen machen musst!«
Er lacht laut und schlägt mir kumpelhaft auf die Schulter, was allerdings nichts daran ändert, dass ich mir aus irgendeinem Grund saudoof vorkomme. Auf seine Frage, ob ich damit ein Problem habe, schüttele ich schnell den Kopf und füge hinzu, dass ich schließlich auch mit Linkshändern oder Rothaarigen kein Problem habe.
»Was hat das denn miteinander zu tun?«, will er wissen, also verweise ich auf die Gemeinsamkeiten dieser Phänomene: Homosexualität, Linkshändigkeit und rote Haare sind das Resultat genetischer Voraussetzungen und hormoneller Prozesse, alle drei galten lange Zeit als das Werk böser Mächte und treten ungefähr gleich häufig auf.
»Ich hätte es bei dir bloß nicht gedacht«, gebe ich schließlich kleinlaut zu.
»Wieso? Weil ich mich nicht benehme wie die Vorzeigeschwulen aus dem Fernsehen?«
Ertappt. Ich werfe ihm einen verlegenen Blick zu und gestehe, dass ich tendenziell mehr Schwule getroffen hätte, die den gängigen Klischees entsprachen.
»Tendenziell ist übrigens eines meiner Lieblingswörter«, versuche ich mich für meine ungalante Ausdrucksweise zu entschuldigen und erkläre Orkan, dass unser Hirn eben auf Effizienz ausgelegt sei, weshalb es in seiner Umwelt nach wiederkehrenden Mustern suche, diese abspeichere und bei Bedarf ganz automatisch abrufe.
»Womit wir wieder beim Thema Vorurteile wären«, wirft er leicht resigniert ein.
»Wobei es zum Glück auch zahlreiche Nachurteile gibt«, sage ich.
»Vorurteile«, sinniert Orkan, »können in ihrer extremsten Form sogar lebensgefährlich sein. Und nicht nur bei denen, die sich vereinsmäßig diesem Schwachsinn verschreiben.«
Die Zugehörigkeit zu einer extremistischen Gruppe, halten wir dann fest, resultiere ohnehin meist aus Frustration, die mit dem tatsächlichen Verhalten der vermeintlichen Feinde nichts zu tun habe. Anfällig für die Teilhabe an solchen Gruppen sind oft sozial ausgegrenzte Personen, denen auf einmal eine Bedeutung zugewiesen wird, die sie bis dahin vermisst haben, und die definieren sich von da an vor allem über die Abgrenzung zu anderen Gruppen. Wir führen uns Beispiele von Hooligans rivalisierender Fußballklubs, von Zugehörigen verschiedener Nationalitäten oder Religionsgemeinschaften vor Augen, die »sich« von »den anderen« abgrenzen.
»Absurd wird es dann«, fällt Orkan ein, »wenn zwei verfeindete Gruppen auf einen gemeinsamen Feind treffen und plötzlich ein vorübergehendes Bündnis eingehen.«
Als Beispiel erinnert er sich an einen Vorfall in Hannover, in dem Islamisten und Faschos gemeinsam auf Juden losgegangen sind. Auch bei der Hetze gegen Homosexuelle, fällt mir dabei ein, finden viele verfeindete Gruppen eine Gemeinsamkeit.
»Also sind wir uns einig«, sagt Orkan schließlich, »dieser extremistische Unsinn, ob nun rechtsradikal, linksradikal oder religiös motiviert, lässt sich nur stoppen, indem soziale Ausgrenzung verringert wird.«
»Genau!« Zustimmend hebe ich meinen Plastikbecher. »Außerdem begegnet man dem Gut-Böse-Denkschema solcher Ideologien am wirksamsten mit Bildung – und damit fangen wir am besten in den Schulen an.«
28
Der Mordsimulator
A ls ich heute Morgen unser Lehrerzimmer betrete, kommt Frau Uhle, die Deutschlehrerin meiner 6a, im Stechschritt auf mich zu. Sie gehört zu den Damen, die ich in der Abwesenheit von Schülern als ziemlich entspannt empfinde – tauchen jedoch Schüler auf, macht sie ein Gesicht, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen. Ihr Pagenschnitt wackelt aufgeregt, als sie sich mir auf Hackenschuhen nähert.
»Meine Geduld ist am Ende!«, wettert sie und erzählt mir dann von Sebastian, der sie gestern mit Stiften beworfen und beschimpft habe. Ich würde sie liebend gerne an den Klassenlehrer, Geierchen, verweisen, doch der ist inzwischen seit knapp zwei Wochen krank, sodass ich mich der Sache wohl oder übel selbst annehmen muss.
Während sie mir darlegt, wie schwierig ihr Verhältnis zu dieser Klasse sei, erinnere ich mich an die Stunden, in denen ich ihren Deutschunterricht als Zweitlehrer mitverfolgen musste. Nachdem sich
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