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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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Reformator.
    Mir kommt die Kindererziehung in traditionell muslimischen Familien in den Sinn, und da fällt mir wieder ein, dass Orkan vorhin etwas von einem Verbot gesagt hat, den eigenen Geburtstag zu feiern. Als ich ihn danach frage, erwidert er, dass dies bei Weitem nicht für alle Familien gelte, dass aber Kinder streng traditioneller Familien praktisch keine Kindheit erlebten. Geburtstage würden nicht gefeiert, es gebe zu Hause kein Spielzeug, und sogar Lachen gelte bei einigen Hardlinern als haram.
    »Was meinst du, warum manche Kids so ausflippen, wenn ihre Eltern weg sind?«, fragt er und stellt dann Vermutungen über meine Kindheit an: Fußball spielen, auf Bäume klettern, ein Zimmer voller Spielsachen, Sandkästen, Spielplätze, Baumhäuser, Freunde zu Besuch …
    »Ja, klar«, unterbreche ich ihn, »artgerechte Haltung eben.«
    Orkan lacht schallend und verschüttet dabei fast seine Cola. Mit diesem Wissen um die unterschiedlichen Bedingungen, unter denen Kinder aufwachsen, hätten viele Lehrer seiner Meinung nach mehr Verständnis für manche Schüler, weshalb er so oft wie möglich versuche, darüber zu sprechen.
    Nach diesem kleinen Seminar über die Probleme manch traditioneller muslimischer Familien möchte nun aber auch ich meinen Teil zu einer differenzierten Darstellung beitragen und erzähle ihm von den vielen verdammt netten, gebildeten und lockeren Menschen mit muslimischem Hintergrund, denen ich im Laufe meines Lebens begegnet bin. Ich erkläre ihm, dass sich meines Erachtens so mancher Deutscher etwas von der zwanglosen Art angewöhnen könnte, die salopp gern als südländisch bezeichnet wird, und schwärme von der Gastfreundschaft, der Musik und dem Essen. Ich räume ein, dass es einige kulturelle Elemente gebe, mit denen ich nichts anfangen könne, wie die rücksichtslosen, laut hupenden Autokorsos nach türkischen Hochzeiten, bin aber grundsätzlich der Meinung, dass jeder die Freiheit hat, seine Kultur auszuleben, solange er die Freiheiten anderer damit nicht einschränkt.
    »Und genau da liegt das Problem«, wirft Orkan ein und regt sich dann furchtbar darüber auf, dass in Deutschland oft unverhältnismäßig Rücksicht genommen werde. »Toleranz ist gut«, meint er, doch diesmal kenne ich den Urheber seines Zitats und kann den Satz sogar vervollständigen.
    »… aber nicht gegenüber der Intoleranz!«
    Mit unseren Plastikbechern stoßen wir auf Wilhelm Busch an, und trotzdem fehlt mir in dieser Diskussion noch die Warnung vor den Leuten, die teilweise ähnliche Argumente haben wie wir, aber diese nur als Tarnung für ihre Fremdenfeindlichkeit verwenden.
    »Wegen diesen rechten Idioten ist es für mich als Deutschen teilweise echt schwierig, solche Themen überhaupt anzusprechen.«
    Orkan stimmt mir zu, doch auch hier findet er eine sehr gute Formulierung, mit der er sich gegen Populisten, Fundamentalisten und Faschisten jeder Art abgrenzt: »Wir leben in einem freien Land, und wenn wir wollen, dass es dabei bleibt, müssen wir uns gegen alle wehren, die diese Freiheiten zerstören wollen.«
    »Worüber redet ihr?«, unterbricht uns Cassandra, ein aufgebrezeltes Mädchen aus der Sechsten.
    Gute Frage …
    »Über Freiheit«, erklärt ihr Orkan.
    Gute Antwort!
    Wir bemerken, dass immer noch niemand tanzt, und so macht sich Orkan auf, die Kids dazu zu animieren. Er stellt sich mutig auf die einsame Tanzfläche und zeigt, dass seine musikalische Heimat der Hip-Hop ist. Ich lasse so etwas besser – schließlich habe ich mir mein Image als strenger Lehrer nicht monatelang erarbeitet, um mich mit einer einzigen peinlichen Aktion als ungelenker Volltrottel zu outen! Und bei meinen Tanzkünsten ist ein Totalversagen ziemlich wahrscheinlich.
    Nach ein paar Minuten lasse ich mich dann aber doch überzeugen und wage vor den gespannten Augen meiner Schüler ein paar unsichere Schritte auf dem Parkett. Was soll’s! Die Kids können ruhig mal lernen, dass Lehrer auch nur Menschen sind – und dass nicht jeder Mensch gut tanzen kann.
    Ein paar Momente der gefühlten Blamage später stellt sich allerdings heraus, dass Orkans Taktik aufgeht.
    »Ist doch immer dasselbe«, ruft er mir zu, »irgendeiner muss den ersten Schritt machen.«
    Als sich die Tanzfläche etwas gefüllt hat, machen wir uns langsam aus dem Staub und nehmen wieder unsere alte Sitzposition auf dem Tisch am Rand der Aula ein.
    »Alter, jetzt hätte ich Bock auf ’n Drink«, sagt Orkan plötzlich, und weil ich ihn verwundert

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