Isch geh Schulhof: Erfahrung
Lehrer, Herr Yilmaz, sei »richtig cool«. Als ich das Lehrerzimmer betrete, fällt mir mein neuer Kollege sofort auf. Er ist ungefähr in meinem Alter, trägt Turnschuhe und macht insgesamt den Eindruck, als könnte er sich in meinem Freundeskreis herumtreiben. Ein bisschen erinnert er mich an Tayfun, meinen ersten besten Freund aus der Grundschule. In die Erinnerungen an meine eigene Grundschulzeit vertieft, wird mir plötzlich klar, was mir hier immer ein bisschen gefehlt hat: gleichaltrige Kollegen, mit denen man am Wochenende auch mal feiern gehen könnte.
Ja, ich weiß: Als Lehrer habe ich natürlich eine Vorbildfunktion – und weder Biergenuss noch der Besuch Berliner Clubs wollen so recht in das Image des braven Wissensvermittlers passen –, doch spätestens in der Oberschule haben wohl die meisten Schüler gelernt, dass auch Lehrer nur Menschen sind.
Mit einem lockeren Handschlag stellen wir uns einander vor und freuen uns offensichtlich beide darüber, einen U30-Kollegen zu treffen.
Nachdem er sich mir als Orkan vorgestellt hat, tauschen wir uns kurz über unsere jeweiligen Aufgabengebiete aus und stellen schnell fest, dass wir beide Quereinsteiger sind. Weil diese Gemeinsamkeit und die spontane Sympathie füreinander für einen gemeinsamen Kaffee ausreichen, verabreden wir uns für die nächste große Pause beim Bäcker. Auf meinem Weg nach draußen komme ich an Chrissi und Rolf vorbei, die uns freundlich zunicken.
Die folgenden zwei Stunden vergehen schnell, und nachdem Orkan in seiner Muttersprache bestellt hat, kommt er mit zwei Tassen Kaffee und zwei Stückchen türkischem Gebäck zu mir, die ihm die Bäckerin geschenkt hat. Weil die angenehme Frühlingssonne bereits scheint, habe ich uns einen Tisch im Freien gesucht und gebe dort kleinlaut zu, dass ich hier in zwei Jahren noch nie etwas geschenkt bekommen habe.
»Tja, wir Türken halten eben zusammen«, entgegnet er nur und zündet sich eine Zigarette an.
Dann erzählt er mir, dass er eigentlich gelernter Sozialarbeiter ist, wegen emotionaler Überlastung und schlechter Bezahlung aber nun auf den Lehrerberuf umsteigen möchte.
Ich verschlucke mich fast an meinem Kaffee, doch bevor ich ihn mit meinen Erfahrungen verjage, lenke ich lieber in eine andere Richtung: »Was war denn an dem Job so schlimm?«
Orkan sieht auf die Uhr. »Zwanzig Minuten reichen für die Story eigentlich nicht.«
Um eine Kurzversion gebeten, erklärt er mir, mit sozialen Härtefällen in muslimisch geprägten Einwanderungsmilieus gearbeitet zu haben, die aus seiner Sicht in einer vollkommen abgeschotteten Parallelwelt leben. Er berichtet von Zwangsehen, von riesigen Familienclans in winzigen Wohnungen und dem permanenten schulischen Scheitern der Kinder. Er spricht von Sprachbarrieren, Diskriminierung, dem Hass auf Deutsche und von Arbeitslosigkeit. Bei allem, was er erzählt, drückt er sich so differenziert aus, dass dabei nie ein einfaches Gut-Böse-Schema entsteht, und obwohl ihm einige Themen offensichtlich sehr nahegehen, schwingt in keinem seiner Sätze ein Vorwurf mit.
»Aber dann bin ich einfach krank geworden«, schließt er seine Geschichte resigniert ab. Auf meine Frage, ob es sich dabei um ein Burn-out gehandelt habe, nickt er langsam. Auch wenn dieses Syndrom sehr vielschichtig ist, wissen Betroffene und die behandelnden Ärzte meist genau, woher die Ermüdungserscheinungen stammen.
Wir beenden unsere gemeinsame Pause mit ein paar eher witzigen Bemerkungen über unser Kollegium und treten dann den Rückweg an. Dabei fällt mir ein, dass eine meiner Musikklassen mit meiner Hilfe eine Kinderdisco organisiert, und Orkan stimmt spontan zu, uns dabei Gesellschaft zu leisten.
»Hau rein«, meint er schließlich lächelnd, schwingt sich seine Tasche um und macht sich auf den Weg in seine Klasse.
Ein paar Tage später haben meine Sechstklässler die Aula zu einer Disco umfunktioniert und drücken sich nach einer Stunde noch immer erfolgreich vor der Hauptbeschäftigung, der in einer Disco üblicherweise nachgegangen wird. Orkan und ich amüsieren uns über die vorpubertären Allüren und machen es uns mit Cola und Chips auf einem Tisch am Rand der Aula gemütlich. Aus seinen Erzählungen geht schnell hervor, dass er weit in die muslimische Parallelgesellschaft vorgedrungen ist.
»Das Schlimmste war für mich zu beobachten, wie Frauen in manchen Clans behandelt werden.«
In einem seiner Berichte geht es tatsächlich um einen Ehrenmord, den ein junger Mann
Weitere Kostenlose Bücher