Isegrim
Grimmer, der alte Arnold und Magnus stehen im Kreis um Kai und Elli herum. Magnus? Ich kann nicht fassen, dass Grimmer seinen Sohn zu dieser Suchaktion mit in den Wald geschleppt hat. Und Karsten Merbach? Vermutlich stolpert er noch irgendwo mit seiner Taschenlampe durch die Gegend.
Aber wo ist Olek? Hat Trefflich ihn erwischt? Konnte er in den Wald entkommen oder haben sie ihn geschnappt?
Der Schafkönig lässt mich endlich los.
»Ist Elli okay?«, frage ich.
Kais Augen funkeln vor Wut. »Sie steht unter Schock, bringt kein Wort heraus«, blafft er mich an. »Wer weiÃ, was das perverse Schwein mit ihr gemacht hat.«
Ich erschrecke über den Hass in seiner Stimme und begreife, dass Olek keine Fairness erwarten kann. Nicht von ihm, vermutlich von keinem der Männer hier.
»Elli, wo ist der Dieb?«, wende ich mich an die Kleine. »Hat er dir etwas getan? Elli, ich binâs, Jola.«
Elli hat das Gesicht in Kais Halsbeuge vergraben, ihre Hände sind in seinem Nacken verschränkt. Sie reagiert nicht auf meine Frage â ich kann sie verstehen. Zuletzt habe ich »Verschwinde, du kleine Kröte, sonst frisst dich der böse Wolf« zu ihr gesagt.
»Komm, Junge«, sagt Kais Vater. »Bringen wir Elli hier weg, ehe wir noch nass werden.«
Die beiden laufen mit Elli zurück zur RingstraÃe. Mein Blick streift die umstehenden Baumstämme und Sträucher, versucht, die Dunkelheit zu durchdringen, doch es ist zwecklos. Von Olek fehlt jede Spur.
»Und nun zu dir, du kleines Flittchen«, knurrt Hans Grimmer.
Arschloch.
»Oh, du lieber Augustin, Augustin«, beginnt Magnus zu singen.
»Sei still, du Idiot«, herrscht der Tischler seinen Sohn an.
Ich höre Autotüren klappen und gleich darauf wird ein Motor angelassen. Kais Vater hat einen Schlüssel für die Sperrschranken zum Ãbungsplatz, weil er seine Schafe darauf weiden lässt. Ich vermute, es ist sein Geländewagen, der davonfährt.
Ist Olek bei ihm?
Zwei Gestalten tauchen aus Richtung RingstraÃe zwischen den Bäumen auf. Rudi Grimmer und Hubert Trefflich. Trefflich hält sein Gewehr in der Hand.
»Sie Idiot haben auf Olek geschossen?«, schreie ich ihn an. Mein Haarknoten hat sich gelöst, ich muss wie eine Furie aussehen.
»Ein kleines Mädchen war in Gefahr und ich habe auf ihren Entführer geschossen.«
Das warâs zum zweiten Mal an diesem Tag mit meiner Beherrschung. Mit Gebrüll stürze ich mich auf Trefflich, doch jemand stellt mir ein Bein. Ich habe solchen Schwung, dass ich gegen Trefflichs Brust pralle und der Mann mit einem verblüfften »Uff« unter mir zu Boden geht.
Sofort sind die anderen über uns, packen mich, überall sind Arme und Hände. Und für zwei Sekunden sehe ich im unsteten Lichtkegel einer Taschenlampe etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren lässt: einen deutlichen Elli-Bissabdruck auf der Innenseite eines Unterarms.
Verflixt! Vom Licht der Taschenlampe geblendet, kneife ich die Augen zusammen. Orangerote Kreise pulsieren hinter meinen Lidern. Der muffige Geruch von ungewaschenen Kleidern steigt in meine Nase. Ich werde von Hubert Trefflich heruntergehoben und unsanft wieder auf die FüÃe gestellt. Rudi und Gernot halten mich an den Oberarmen fest. Magnus hilft dem fluchenden Trefflich auf die Beine.
»Du verfluchtes Gör, du bist ja richtig gefährlich«, geifert Trefflich. »Wenn ich deinem Vater erzähle, dass du dich mit einem Verbrecher hier im Wald herumtreibst, dann â¦Â«
»Was dann?«
»Nun ist es aber wirklich genug, Jola«, mischt sich Schlotter ein. »Du hast schon genug Schaden angerichtet in deiner Naivität. Reià dich endlich zusammen und bemühe mal deinen Verstand.«
»Schämen sollte sie sich!«, ereifert sich Achim Arnold. »Lässt sich mit einem Kindesentführer ein. Pfui Teufel!«
»Wenn sie nicht die ganze Zeit gelogen hätte, hätten wir ihn längst gefangen, den Dieb!«, bemerkt Rudi Grimmer.
Wie Richter stehen die Männer um mich herum, aus ihren Gesichtern spricht nichts als Abneigung. Und überhaupt: Was reden sie da für einen Schwachsinn? Ich soll meinen Verstand bemühen? Oh ja, das tue ich gerade. Fieberhaft.
Einer dieser Männer hat einen Elli-Zahnabdruck am Unterarm. Warum hat Elli ihn gebissen und vor allem: Wann?
Ich starre sie an: Hubert Trefflich, Gernot Schlotter, Rudi und
Weitere Kostenlose Bücher