Isis
besorgen können?«
»In der Werkstatt liegt ein Toter«, schrie der Medjai von unten. »Wird ja immer noch schöner hier. Ich glaube, wir kümmern uns besser erst einmal um Verstärkung.«
»Lass uns jetzt einen Moment allein«, sagte Meret zu dem Mann vor ihr, »damit wir uns wenigstens anziehen können!«
Er zauderte, ging aber schließlich doch aus der Kammer.
»Bleib stark!« Sie küsste Isis zum Abschied und warf sich das Kleid über. Danach ging sie zum Fenster und öffnete es. Ein kurzes Zögern. Furchtlos sprang sie hinaus.
Es war so still im Zimmer, dass ich erschrak. Dann hörte ich ihren gleichmäßigen Atem und wurde wieder ruhiger.
»Du?«, sagte sie schließlich mit brüchiger Stimme. »Du hast mich gezeugt? Aber du bist doch eine Frau!«
»Gezeugt haben dich zwei große, liebende Kräfte, die sich zu etwas Wunderschönem verbunden haben: dir. Aber du hast Recht, Isis. Ich fühle mich als Frau. Seit ich denken kann, habe ich mich so gefühlt. Und dennoch .« Ich suchte nach den richtigen Worten. »In mir, einem einzigen Wesen, sind beide Kräfte verbunden. Eine Gabe der Götter, die Segen und Fluch zugleich ist wie alle großen Gaben.«
»Ich muss mich erst an diesen Gedanken gewöhnen. Immer habe ich mich gefragt, wer wohl mein Vater sein mag - und jetzt das!«
»Keiner weiß davon«, sagte ich. »Und ich denke, dabei sollten wir es auch belassen.«
Isis spielte mit ihrem Haar.
Ich konnte ihr ansehen, wie sehr sie mit der Wahrheit, die sie so unbedingt von mir gefordert hatte, kämpfte. Wieder hätte ich sie am liebsten umarmt, aber ich wusste, dass ich ihr Zeit lassen musste, wer weiß wie viel.
»Aber du hast die Geschichte noch nicht ganz zu Ende erzählt«, sagte sie schließlich. »Was geschah mit Khay? Und mit Basa - meinem Großvater?«
»Montemhet hatte niemals vor, auf Basas Erpressung einzugehen. Es war nichts als eine Finte, um ihn zum Reden zu bringen. Zumal Iucha den Behörden bereits einen entscheidenden Hinweis auf Khay gegeben hatte. Natürlich erst, nachdem die beiden die Beute aus der Tempelwerkstatt geholt hatten. Der Kahle hatte die Schmuckstücke in Kisten mit Lumpen und alten Mumienbinden gepackt. Ein Schiff wartete schon auf ihn. Er hatte vor, sich stromabwärts abzusetzen.«
»Das klingt, als sei er niemals angekommen«, sagte Isis.
Ich musterte sie überrascht. Sie besaß das gleiche Talent wie ihre Mutter, jenes feine, untrügliche Gespür, das sich von niemandem täuschen ließ.
»Es stimmt, was du vermutest. Das Schiff lief auf Grund. Der Pharaonenschatz versank im Nil. Von Iucha hat niemand wieder etwas gehört. Aber ich könnte mir vorstellen, dass er immer noch irgendwo sein Unwesen treibt. Es gibt viele Menschen, die sich verführen lassen. Und der Boden Kemets steckt voller Grabschätze.«
»Du weichst mir aus«, sagte Isis. »Weshalb?«
»Weil es mir noch immer schwer fällt, über Khay zu reden«, sagte ich.
»Mein Bruder ist vom Weg abgekommen, aber nicht, weil er wirklich schlecht war. Im Grunde wollte er immer nur anerkannt werden.«
»Er hat gestohlen und gemordet«, sagte Isis. »Und die ewige Ruhe geschändet.«
»Aber er hat dafür bezahlt«, sagte ich.
»Doch nicht etwa diese fürchterlichen Stäbe?«, flüsterte sie und wurde blass. »Und das Schafsfell ...«
»Nein«, sagte ich. »Das nicht. Manchmal glaube ich, dass der Stadtfürst trotz allem die väterliche Bitte Basas letztlich erhört hat. Khay wurde gefasst, in Ketten gelegt und eingesperrt. Aber irgendjemand muss einen Strick in seine Zelle geschmuggelt haben. Er hat sich erhängt. Das Allerschrecklichste blieb ihm erspart.«
»Und dann?«
»Man warf seinen Leichnam in die Wüste.« Ich sah sie offen an. »Ein furchtbarer Gedanke, ich weiß. Und doch: Ist die Wüste, das rote Land, nicht Seths Reich? Und hat Khay nicht wie Seth seinen Bruder aus Neid getötet?«
»Und Basa?«, verlangte Isis.
»Basa konnte den Flammen in seinem Inneren nicht entkommen«, sagte ich. »Das große Feuer, das er einst gelegt hatte, hat ihn am Ende selbst erfasst. Er ist wahnsinnig geworden.«
Isis blieb lange still.
»Meine Mutter hat niemals etwas davon erzählt«, sagte sie. »Und trotzdem wusste ich schon von klein auf, dass bei uns etwas anders war, ganz anders: Sie konnte so fröhlich sein, so strahlend. Aber dann kam plötzlich eine so tiefe Traurigkeit über sie, dass ich ganz hilflos wurde. Ich habe mich immer bemüht, sie wieder heiter zu stimmen. Und ich fühlte mich
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