Isis
munkelte, er habe beim Tod seines Onkels die Hände mit ihm Spiel gehabt, aber daran mochte sie jetzt nicht denken. Sie befand sich auf einem königlichen Schiff und sprach mit keinem anderem als dem Pharao persönlich, das war das Einzige, was zählte.
»Goldhorus, ich ...« Sie wollte in eine tiefe Verbeugung sinken, Tanutamun aber hinderte sie daran.
»Du bist blind und taub, verstanden?«, sagte er eindringlich, während er ihren Arm umklammert hielt. »Und du hast mich weder gesehen noch mit mir gesprochen.«
Sie nickte wie betäubt.
»Nur ein falsches Wort — und meine Gefolgsleute werden dich für immer zum Schweigen bringen, egal, wo du dich befindest. Verstanden? Es ist wichtig, dass du alles ganz genau begriffen hast.«
»Verstanden«, flüsterte Ruza benommen. »Kein Wort jemals. Zu niemandem. Unter keinen Umständen. Nirgendwo.«
»Schwöre!«
»Ich schwöre. Bei meinem Kind und bei allen Göttern!«
»Gut.« Ihre Ernsthaftigkeit schien ihn zu beruhigen. »Dann verschwinde in die Kajüte zu den anderen.« Ganz unerwartet ließ er seine Fackel etwas tiefer sinken. »Hübsches Kind«, sagte er, als sie das kleine Gesicht beleuchtete. »Ein Mädchen?«
Ruza nickte. Sie war so stolz auf das dichte, dunkle Haar des Kindes. Niemals würde sie es fertig bringen, ihrem Liebling den Kopf zu scheren.
»Wie heißt sie?«
»Meret«, sagte Ruza ohne zu überlegen. »Das ist meine Tochter Meret.«
Das war ihre Lieblingsstelle in den Erinnerungen, und es gab Nächte, da beschwor Ruza sie wieder und wieder herauf, bis sie innerlich ganz warm und müde wurde und endlich einschlafen konnte. Manchmal kam es ihr vor, als könne Meret ihre Gedanken lesen, zumindest jedoch ihre geheimsten Empfindungen spüren, denn das Kind reagierte jedes Mal auf irgendeine Weise darauf. Auch jetzt begann sie zu strampeln, als wolle sie sich bemerkbar machen, und so lange vor sich hinzugurgeln, bis Ruza sie heranzog und liebevoll an sich drückte.
»Unser Geheimnis wird keiner jemals lüften«, wisperte sie.
»Auf ewig soll es in unseren Herzen verschlossen bleiben. Aber das gilt nur für die anderen. Du, mein Liebling, sollst von mir jede Einzelheit erfahren, wenn du groß genug bist. Das verspreche ich dir, meine kleine Meret.«
»Mamam«, machte Meret, was Ruza als Antwort genügte.
Schon jetzt begann Meret, den ganzen Tag vor sich hinzubrabbeln. Sie würde bald sprechen können. Dann würden sie sich noch besser verstehen. Wie zum Beweis, dass keiner sie jemals wieder voneinander trennen konnte, hielt Ruza das Kleine die ganze Nacht im Arm wie einen Schatz, der nur ihr allein gehörte.
oooo
Als Montemhet ihn zum dritten Mal hintereinander nicht empfing, wusste Basa, dass er ihm absichtlich auswich. Bislang war immer er es gewesen, der sich vor den wissenden Augen des Stadtfürsten gefürchtet hatte, nun jedoch hatte sich das Rad offenbar gedreht. Trotzdem wehrte sich noch immer alles in ihm gegen die Einsicht. Der »Große in Waset« war sein Mentor. Wie durfte er überhaupt wagen, ihm zu misstrauen? Aber der Wunsch, die Wahrheit nicht nur zu erahnen, sondern zu wissen, war zu stark.
Ohnehin war ihm jeder Anlass willkommen, sein Haus zu verlassen. Seitdem Selene bei ihnen wohnte, schienen die Wände zusammengerückt zu sein. Er hatte das Gefühl, ihr ständig zu begegnen, und das umso mehr, je eifriger er ihre Nähe mied. Ihr Bild verließ ihn nicht mehr, weder im Wachen noch im Träumen. Manchmal war er beinahe so weit, kurzerhand zu ihr zu gehen und die unerquickliche Situation zu beenden.
Was aber hätte er ihr sagen sollen?
Dass ihm gefiel, wie sie ihr Haar nach hinten gebunden trug?
Dass ihre Schlüsselbeine betörend schön waren? Dass ihr tanzender Gang ihn halb um den Verstand brachte? Und er sich nach ihrem Stöhnen sehnte, ihrer Haut, ihren Brüsten?
Zwar gab sie sich ihm gegenüber zurückhaltend, gelegentlich jedoch entdeckte er in ihren Augen ein wissendes Blitzen, das mehr verriet. Dann hätte er sie am liebsten gleichzeitig geschlagen und geküsst, wilde, heftige Gefühle, die ihn verwirrten, weil sie ihn an seine Jugend erinnerten, als er vor Scham über das, was in ihm vorging, am liebsten gestorben wäre. In solchen Augenblicken hasste er die Fischdämonin mehr denn je zuvor, weil sie solche Macht über ihn besaß, und verlangte zugleich noch unbedingter nach ihr.
Es half ihm, schneller zu gehen, seine Muskelkraft zu spüren und den Schweiß, der zu rinnen begann. Noch immer lastete die
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