Isis
hatte.
Die Zeit schien still zu stehen, so quälend langsam vergingen für Selene die Tage ohne ihn; heute jedoch war sie erleichtert, dass die Besatzer, wenn er nach Hause kommen würde, fort waren.
»Was meinst du damit?«, fragte Neshet erstaunt. Sie waren sich in den vergangenen Monden näher gekommen, die beiden so unterschiedlichen Frauen, während sie sich um Basas Söhne kümmerten und ab und zu ein Schwätzchen hielten. Selene war sich nicht zu fein mitzuhelfen, wenn eine zusätzliche Hand im Haushalt gebraucht wurde, was die alte Dienerin ihr hoch anrechnete. Außerdem hatte sie die Frau aus Keftiu als talentierte Köchin schätzen gelernt, die selbst in mageren Zeiten Gerichte so zubereiten und würzen konnte, dass sie schmeckten. »Ist es nicht gut, dass wir Menschen die Fähigkeit besitzen, Schreckliches hinter uns zu lassen, um uns der Zukunft zuzuwenden?«
»Aber wenn es zu rasch geschieht, erinnern wir uns bald auch nicht mehr, weshalb es zu dem Schrecklichen kommen konnte«, sagte Selene. »Und dann wiederholen wir unsere Fehler, ohne etwas dazuzulernen. Komm, lass uns schnell zum Markt gehen! Ich wette, die Auswahl ist heute so üppig wie seit Ewigkeiten nicht mehr.«
»Ich werde dich vermissen«, sagte die alte Dienerin, während sie bei einem Händler sorgfältig frische Datteln und Feigen für das Abendessen aussuchten, die ersten, die seit Monaten zu einem halbwegs vernünftigen Preis angeboten wurden.
Ringsumher herrschte dichtes Gedränge, weil es viel nachzuholen gab. Jeder Marktstand war plötzlich wieder mit lang entbehrten Köstlichkeiten beladen. »Und nicht nur ich.
Du hast Lachen und Licht in dieses düstere Haus zurückgebracht. Was soll nur aus dem kleinen Anu werden, wenn du uns verlässt?« Ein tiefer Seufzer. »Und was erst aus der armen Herrin?«
»Anu hat sich prächtig entwickelt«, sagte Selene und spürte wieder den scharfen Stich im Herzen. Um den Jungen machte sie sich keine Sorgen mehr, obwohl er feingliedrig geblieben war und kaum jemals Khays agile Kräftigkeit erreichen würde. Was jedoch die Freundin betraf, so war sie mit ihrer Weisheit am Ende. Sarits Zustand hatte sich nicht gebessert, im Gegenteil, er schien ihr bedenklicher denn je. Selene strengte sich an, ihren Gedanken wieder eine erfreulichere Richtung zu geben. »Richtig selbstbewusst ist der kleine Kerl geworden. Und von meiner Brust hat er inzwischen auch genug. Gestern hat er unmissverständlich den Kopf weggedreht, als ich ihn abends noch einmal stillen wollte.« Sie schichtete die Früchte in ihren Korb. »Manchmal sind die Kinder eben klüger als wir. Ich glaube, es wird allerhöchste Zeit, dass ich nach Hause gehe.«
Und dennoch fiel ihr der Abschied überraschend schwer, als Nezem zwei Wochen später in Basas Haus auftauchte.
Er war sonnenverbrannt, deutlich magerer und hatte einen geschorenen Kopf, der sie zunächst erschreckte. Als er sie zur Begrüßung ungestüm an sich zog, spürte sie, wie fest seine Muskeln unter der dunklen Haut geworden waren.
»Dunkel wie ein Nubier, kahl wie ein Sträfling und stark wie ein Athlet«, sagte sie, während sie kaum noch Luft bekam.
Vorsichtig betastete sie seinen blanken Schädel. »Gib mir ein bisschen Zeit! An diesen neuen Mann muss ich mich erst gewöhnen.«
»Und wie viele Athleten, Sträflinge und Nubier hast du schon geküsst?« Ihr vertrauter Duft ließ ihn schwindelig werden, er spürte den sanften Druck ihrer Brüste an seinem Körper.
»Eines steht auf jeden Fall fest: Du kannst es besser als sie alle zusammen!« Lachend machte sie sich frei. Während sie ihre Sachen packte, bewachte Nezem wie ein eifersüchtiger Wächter die Schwelle, als befürchte er, sie könne es sich noch im allerletzten Augenblick anders überlegen. Schließlich war Selene fertig und betrat mit klopfendem Herzen Sarits Zimmer.
Die Hausherrin lag ausnahmsweise nicht im Bett, sondern saß regungslos in einem geschnitzten Sessel. Die Haare waren nachlässig mit einem Band aus der Stirn gehalten, das Kleid roch muffig. Schwermut umschattete ihre Augen unter den feingezeichneten Brauen. Zunächst blieb Sarit still, nur ihre Hände führten ein geheimnisvolles Eigenleben.
»Warte!« sagte sie schließlich, als Selene sich schon resigniert abwenden wollte. »Du verlässt uns?« Ihre Stimme drohte zu kippen. »Sag mir, warum kann nichts so bleiben, wie es ist?«
»Weil alles sich ständig wandelt - wir und die Welt um uns herum. Ich fürchte, das ist eine der
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