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Isis

Isis

Titel: Isis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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hob einen Dolch auf, eine gefährliche, elegante Waffe, ideal zum Töten. Das Öllicht, das er näher an sie hielt, um sie eingehender zu untersuchen, brachte raschen Aufschluss. Die Klinge war so scharf, dass er sich in den Finger schnitt. Ein Blutstropfen fiel auf den säuberlich in Silber getriebenen Griff, den breite, fein ziselierte Keilschriftbänder schmückten, die er nicht entziffern konnte.
    Jetzt war die Melodie zu einem rauschenden Crescendo angeschwollen, das in seinen Ohren dröhnte.
    Es gab keinen Zweifel mehr: Durch den von ihm angelegten unterirdischen Gang waren die Assyrer heimlich in die Stadt gelangt. Und kein Geringerer als Montemhet hatte ihnen den Weg des Maulwurfs geöffnet.



Drei Monate lang war Kernet schwarz, nachdem das Hochwasser langsam zurückgegangen war und in unzähligen Gräben und Kanälen fruchtbaren Schlamm freigab, in dem nach und nach die Saat aufging. Die nächsten drei Monate wuchs das Getreide, rötlich wie Gold. Schließlich wurde die Ernte eingebracht. Erst als das helle Sandbraun der abgeernteten Felder stromauf und stromab das Land beherrschte, rüstete das Assyrerheer sich zum Abmarsch.
    Bereits im Herbst war eine berittene Vorhut aufgebrochen, die zehn junge Männer aus den vornehmsten Familien der Stadt als Geiseln an den Tigris verschleppt hatte. So konnte Aschurbanapli es sich leisten, nur ein geringes Truppenkontingent in der neuen Provinz seines Großreiches zurückzulassen, das nordwärts ziehen und in der Residenzstadt Mennefer stationiert sein sollte. Zudem war damit gesichert, dass keiner der bisher so aufsässigen Deltafürsten sich noch einmal gegen ihn erheben würde, nachdem der letzte Aufstand so blutig und konsequenzenreich niedergeschlagen worden war. Der Einzige, der seine früheren Machtbefugnisse nicht nur zurückerhalten hatte, sondern sie sogar noch hatte ausweiten können, war Psammetich, Sohn des Necho, der als assyrischer Vasall unter dem Namen Nabuschezibanni in Sai's regierte.
    Zu Wasser und zu Land trugen die verhassten Eroberer fort, was sie erbeutet hatten: Kisten voller Gold, Edelsteine und dazu Elfenbein, Hölzer, seltene Felle, Käfige mit Meerkatzen und Pavianen, mehr als ein Dutzend zahme Elefanten, viele Pferde und die schnellsten Rennkamele, vorwiegend aus Montemhets privatem Besitz. Dazu kamen zur allgemeinen Verbitterung unzählige Getreidesäcke, obwohl die Kornspeicher in Waset nicht einmal bis zur Hälfte gefüllt waren.
    Die diesjährige Flut war ungewöhnlich niedrig ausgefallen, ein böses Omen, wie allgemein geraunt wurde, als habe sogar der Hapi den Eindringlingen zeigen wollen, wie unerwünscht sie waren.
    Am aufwändigsten gestaltete sich der Abtransport der Obelisken, die das Tempeltor beschützt hatten. Trotz aller Proteste und Eingaben der Priesterschaft hatte der Turtan sich von diesem Vorhaben nicht abbringen lassen. In aller Eile waren zwei riesige Schiffe gezimmert und anschließend seetüchtig gemacht worden, die die Kolosse stromabwärts tragen sollten. Halb Waset sah zu, als nun ihre Anker gelichtet wurden. Zunächst blieb alles ruhig. Nicht ein lautes Wort fiel, während die Segler schwerfällig ablegten, denn die Menschen hatten während der vergangenen Monde zu viel erdulden müssen. Überall jedoch sah man düstere Mienen und heimlich geballte Fäuste.
    »Zur Hölle mit euch, ihr bärtigen Scheusale!«, rief schließlich ein weißhaariger Mann, dem es wegen seines hohen Alters egal zu sein schien, ob er im letzten Augenblick noch bestraft wurde. »Lasst euch nie wieder in der Heimat Amuns sehen, das rate ich euch!«
    »Verflucht sollt ihr sein für das, was ihr uns angetan habt!«, schrie eine Frau. »Und unfruchtbar die Söhne eurer Söhne bis ins siebente Glied!«
    »Tod und Verderben allen Assyrern!«, fiel ein anderer ein, der plötzlich ebenfalls seinen Mut wieder gefunden hatte.
    Allmählich wurden immer mehr Stimmen laut, denen die lähmende Stille der vergangenen Monate wich. Vieles, was in Angst und geduckter Vorsicht wie erstarrt gewesen war, begann sich zu lösen. Nachbarn und Bekannte umarmten sich, Kinder fingen an umherzutoben, Wildfremde fielen einander um den Hals. Plötzlich war der Himmel über den Menschen wieder lichter und die Sonne schien strahlender.
    »Ich hoffe nur, sie vergessen nicht allzu schnell«, sagte Selene, die mit der alten Neshet unter den vielen Zuschauern am Quai stand. Seit Wochen wartete sie sehnsüchtig auf Nezem, der seine Rückkehr durch einen Boten angekündigt

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