Isis
Basa. »Es kann wahre Wunder bewirken.« Er machte sich an ihren Kratzern zu schaffen, indem er sie säuberte und mit einer streng riechenden Tinktur bestrich, die das Brennen verstärkte.
Sie zuckte zusammen. »Was ist überhaupt passiert?«
»Zu viel Weihrauch und zu wenig Luft, schätze ich mal. Kannst du dich aufsetzen? Ich möchte, dass du noch ein paar tüchtige Schlucke trinkst.«
»Natürlich«, sagte Selene, war dann aber doch froh, dass er sie dabei unterstützte.
»Hier. Du brauchst jetzt viel Flüssigkeit.«
Sie trank wie ein gehorsames Kind. »Meine Zunge fühlt sich ganz taub an«, sagte sie. »Und mir ist noch immer schwindelig. Es ist doch nichts Schädliches?«
»Sicherlich nur die Erschöpfung«, versicherte Basa. »Ein schnell wirkendes Stärkungsmittel, wie gesagt. Du wirst dich bald besser fühlen.«
»Ist die Zeremonie eigentlich schon vorbei? Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern.«
»Das Grab wird in wenigen Stunden versiegelt. Dann kann Sarit endlich ihre ewige Nachtfahrt der Sonne beginnen, wie sie es sich immer gewünscht hat.«
»Wieso tust du das alles?« Selene musste blinzeln, so stark blendete die Sonne. Etwas Seltsames kreiste in ihrem Blut, eine rasch aufsteigende Hitze, die sie schläfrig und hellwach zugleich machte. Ihr war gleichzeitig heiß und kalt. Sie wollte allein sein und wünschte doch, dass Basa in ihrer Nähe war.
»Hätte ich dich vielleicht im Felsengrab zurücklassen sollen?«
»All der Aufwand, das teure Begräbnis nach den vielen Jahren ...« Sie schüttelte den Kopf, um das taube Gefühl, das sich unaufhaltsam in ihrem Körper ausbreitete, zu verscheuchen. »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Da war doch immer so viel Streit zwischen euch, eine solch tiefe Zwietracht! Hast du Sarit eigentlich jemals geliebt, Basa?«
Statt einer Antwort legte er seine Hand auf ihren Kopf, und sie wunderte sich, dass sie dies als angenehm empfand.
Er half ihr auf. Leicht verlegen klopfte Selene den Sand aus ihrem Kleid. Wie im Traum folgte sie ihm zur Fähre. An die Überfahrt hatte sie später keine Erinnerung mehr. Sie wusste nur noch, dass auf der anderen Seite ein Karren auf sie wartete, der sie zu Basas Haus brachte.
Das Gartentor, sonst immer verschlossen, stand einladend offen. Ein schmaler Steinweg führte zu dem flachen
Gebäude, das Selene bislang nur aus der Entfernung betrachtet hatte.
»Weiter!«, sagte Basa, der dicht neben ihr ging. »Worauf wartest du noch?«
An der Schwelle blieben sie stehen. Aufmerksam betrachtete er Selene. Kreiste genug von seinem Gift in ihren Adern?
Würde sie endlich bereit sein für das, was er von ihr begehrte?
Ihre engen Pupillen und ihr starrer Blick machten ihm Mut. Sie schwankte leicht. Er stützte sie, damit sie nicht hinfiel.
»Du hast mich entzündet«, sagte er leise. »Ich brenne. Und nun wirst endlich auch du brennen.«
Selene starrte ihn stumm an.
Er steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn um. Die Tür sprang auf. Ungeduldig zog er sie ins Innere.
»Welches sind die Götter der Neunheit?« Merets Antwort erfolgte prompt. »Am Anfang war nur Wasser, dunkles, endloses Wasser, und weder Zeit noch Raum waren geboren.
Doch irgendwann erhob sich Atum aus den Fluten, und er war die Sonne.« Sie schaute zu Sanna, und als diese ihr aufmuntert zunickte, fuhr sie noch sicherer fort: »Aus Atum gingen Schu und Tefnut hervor, die die Luft und die Feuchtigkeit sind. Schu und Tefnut wiederum zeugten Geb und Nut.
Bei ihrer Geburt hingen sie zusammen, und so ging Schu hin und löste sie voneinander. Nut hob er empor und veranlasste sie, den Himmel zu bilden. Geb aber ließ er, wo er war, und so wurde Geb zur Erde.«
»Das hast du sehr schön erzählt«, sagte Akanesch. Der Oberste Priester war ein seltener Gast in den Unterrichtsräumen des Lebens, Merets Fortschritte jedoch verfolgte er mit großer persönlicher Anteilnahme. Kaum je zuvor hatten die hohen Steinmauern eine so eifrige Schülerin beheimatet.
»Und mehr als das. Mir scheint, du hast die Schöpfungsgeschichte auch wirklich verstanden.«
»Aber ich bin doch gar nicht fertig!«, protestierte Meret. »Das Schönste kommt noch.«
»Gut, dann lass uns auch das Ende hören!«, sagte Akanesch und lehnte sich lächelnd zurück.
»Die Erde und der Himmel hatten fünf Kinder, die an fünf Tagen hintereinander geboren wurden: Osiris, Haroeris, Seth, Isis und Nephthys. Osiris und Isis liebten sich bereits im Mutterleib. Und sie werden sich
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