Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Isis

Isis

Titel: Isis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
diese Übungen bei. Und deshalb wollen wir auch, dass du möglichst viel Wissen erwirbst. Du bist ein ganz besonderer Mensch, Meret, mit einem ungewöhnlichen Schicksal. Danke den Göttern, dass sie dich auf diese Weise ausgezeichnet haben!«
    Sie nahm Merets Hand und zog sie nach nebenan, in einen kleinen, rechteckigen Raum, den sie zum ersten Mal zusammen betraten. In einer Nische stand auf einem niedrigen Podest ein verhülltes Gefäß. Sanna zog das Tuch herunter.
    »Was siehst du?«, fragte sie.
    Meret deutete auf die beiden Anch-Zeichen im unteren Teil der Alabastervase. »Das Symbol für Leben«, sagte sie. »Das Was-Szepter in der Mitte stellt den großen Fluss dar. Er ist unser Vater. Er lässt uns leben.«
    »Das ist richtig. Und oben?«
    »Lotos und Papyrus, die Symbole von Kernet. Der Papyrus ist Hathor geweiht, der Göttin der Liebe, die auch die Toten beschützt. Der Lotos schließt sich jede Nacht und sinkt unter Wasser, um am nächsten Tag wieder aufzuerstehen. Er gleicht der Sonne, die jede Nacht als Greis von der Himmelsgöttin Nut verschluckt wird, durch ihren Leib wandert und am nächsten Morgen als Kind neu geboren wird .«
    »Siehst du«, unterbrach Sanna sie. »Es lohnt sich, zu wissen und dadurch erst richtig sehen zu lernen. Für jemand anderen wären das nur irgendwelche verschlungene Linien eines schönen Gefäßes. Du aber bist in der Lage, das Geheimnis des Lebens in ihnen zu erkennen.«
    Meret schwieg, als müsse sie die Worte in sich nachwirken lassen. »Hast du mich eigentlich lieb, Sanna?« Auf einmal klang ihre Stimme wieder ganz kindlich.
    »Das fragst du noch?«, sagte Sanna lächelnd. »Vom allerersten Moment an, als ich dich mit deiner Mutter an der Pforte gesehen habe.«
     
    oooo
     
    Der Quai war schwarz vor Menschen. Seit dem Abzug der Assyrer waren nicht mehr so viele Männer, Frauen und Kinder auf einmal unterwegs gewesen. Hatten damals jedoch überall Unmut und versteckte Rebellion in der Luft gelegen, herrschte heute in ganz Waset eine fröhliche, fast übermütige Stimmung. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht von der Adoption Nitokris’ in der Stadt verbreitet, und kaum minder rasant machten stets neue, immer noch phantastischere Gerüchte über Psammetich und seine Tochter die Runde.
    »Es heißt, die Kleine sei so rein und so schön wie ein Stern.
    Wo auch immer ihr Fuß sandigen Boden berührt, dort sollen Blumen sprießen.«
    »Ihr Vater hat angeblich zusammen mit seiner Jüngsten Schiffsladungen voller Gold stromaufwärts geschickt. Waset wird nie wieder Not leiden müssen.«
    »Er hat Aschurbanapli das Fürchten gelehrt und unsere Kinder aus seinem gefräßigen Maul befreit. Endlich wird Kernet wieder einen starken Pharao haben!«
    Vor mehr als drei Monden war der Tod Tanutamuns bekannt geworden, der im heimischen Napata seiner Krankheit erlegen und nun am Fuß des heiligen Berges Gebel Barkai bestattet worden war. Sein Leichnam ruhe, so sagte man, in einer hellen Steinpyramide von geradezu immensem Ausmaß, deren Unterteil eine perfekte Nachahmung des Osireons in Abdju sei — aber wer aus Kernet würde schon Gelegenheit erhalten, dies vor Ort nachzuprüfen?
    Die Stadt schien den Herrscher, der nur so kurz regiert hatte, bereits vergessen zu haben. Anders verhielt es sich mit seinem Vorgänger Taharka. Der schwarze Pharao besaß noch immer Anhänger, die seiner Epoche nachtrauerten, in der Regel allerdings ältere, eher konservative Leute, viele von ihnen selbst Kuschiten, deren Zahl ständig abnahm.
    Alle Zeichen standen auf Neubeginn, obwohl Psamme- tich bislang noch keinen offiziellen Anspruch auf die Doppelkrone erhoben hatte. Festlich geschmückt wie eine Braut erwartete Waset, »die Siegreiche«, trotzdem die Ankunft der sai'tischen Adoptivtochter. Um eine Massenhysterie zu vermeiden, vor allem aber, um die allerorts in großer Zahl aufgehäuften Opfergaben zu schützen, die später im Tempel dargebracht werden sollten, hatte man versucht, die Schaulustigen mit Holzpfählen und Holzblöcken einigermaßen in Schach zu halten. Aber alle Schranken waren längst gestürmt, als die blumengeschmückte Barke endlich in Sichtweite kam.
    Schepenupet und ihre Nichte Amenardis, leicht erhöht über der Menge auf einer Tribüne, warfen sich besorgte Blicke zu.
    Zu ihren Füßen hatten sich die Spitzen des Hofstaates aufgebaut, vom Majordomus über den Kammerherrn bis hin zum Vorsteher der Türhüter. Auch Nezem war in seiner Eigenschaft als Oberster aller

Weitere Kostenlose Bücher