Isis
Säugling und sie niemals wieder fortgelassen, schon gar nicht zu diesen Priesterinnen, die sie in ein dunkles Verlies führen würden, wo sie drei Tage lang lebendig begraben blieb.
»Mein Liebling, ich möchte ...« Sie spürte an ihrem eigenen Körper, wie sehr Meret sich schon bei den ersten Worten verkrampfte. »Schon gut«, brummte sie. »Wahrscheinlich glaubst du ja ohnehin, dass deine alte Mutter gar nichts weiß.
Und wahrscheinlich hast du damit sogar Recht.«
»Hör endlich auf, dich zu schämen, weil du angeblich nicht gescheit genug bist!«, sagte Meret aufgebracht. »Ich habe nie so etwas zu dir gesagt. Und du solltest es auch nicht ständig tun.« Sie stand auf und streckte sich, als sei der Raum auf einmal zu niedrig für sie. »Ich gehe noch mal zum Fluss. Ich muss nachdenken.«
»Jetzt?« Ruza gelang es nicht, die Besorgnis aus ihrer Stimme zu verbannen. »Aber es ist doch schon dunkel! Und wenn Djedi und die anderen Jungen dich wieder ...«
»Ich passe auf, versprochen? Keiner wird mir etwas tun. Nicht heute Abend.« Steifbeinig ging Meret zur Tür.
»Vielleicht ist es manchmal leichter, als Mann geboren zu werden«, sagte Ruza zu Merets schmalem Rücken. »Frauen müssen ihr ganzes Leben Angst haben.«
»Findest du?« Merets Augen glänzten verdächtig, als sie sich noch einmal umdrehte. »Findest du wirklich?«
oooo
Die Pläne der Totenstadt gaben Basa Rätsel über Rätsel auf.
Auf den ersten Blick hatte alles so einfach, klar und übersichtlich gewirkt. Je länger er sich jedoch mit den verschiedenen Grabanlagen und ihren Verbindungsgängen beschäftigte, desto verwirrter wurde er. Dazu kam, dass Montemhet allmählich die Geduld verlor.
»Ich habe dir die alten Karten nicht überlassen, damit du sie ausbrütest«, sagte er schroff, als er ihn zu einem
Zwischenbericht zu sich bestellte. »Was wir brauchen, sind endlich Ergebnisse, Basa, greifbare, verwertbare Ergebnisse. Wo liegt denn die Schwierigkeit? Linien, Gräben und Schächte - das fällt doch eigentlich in dein Ressort!«
»Ja, natürlich, aber die Sache ist weitaus komplizierter, als ich zunächst gedacht habe«, versuchte Basa sich zu verteidigen.
Montemhet streckte gebieterisch seine Hand aus, als wolle er die Karten an sich nehmen.
»Heißt das, du kommst mit ihnen nicht zurecht?«
»Ich komme sehr wohl mit ihnen zurecht.« Basa stützte sich schwer auf die verblichenen Papyri. Am liebsten wäre er laut geworden oder hätte um sich geschlagen. Es kostete ihn Kraft, Beherrschung zu bewahren. »Aber ich brauche mehr Zeit. Dann kann ich dir bestimmt weiterhelfen.«
»Mir gefällt nicht, dass bereits überall in der Stadt gemunkelt wird, Dämonen seien am Werk. Denn Lebewesen aus Fleisch und Blut könnten nicht ungehindert durch dicke Ziegelmauem dringen.« Montemhet streckte sich, als sei die Last auf seinen Schultern zu schwer. »Spätestens bis zur Ankunft Psammetichs muss die Angelegenheit unter Kontrolle sein. Dieser ganze Unsinn über Geister und Dämonen darf dem neuen Pharao nicht zu Ohren kommen.«
Eine knappe Verabschiedung ließ Basa unzufrieden zurück.
Wieder zu Hause angelangt, starrte er im Schein der Öllampen auf die Pläne, bis die schwachen Linien vor seinen Augen zu tanzen begannen. Basa hatte den Weg des Maulwurfs keineswegs vergessen, durch den Montemhet damals die Assyrer in die Stadt gelassen hatte. Dutzende von Malen war er schon drauf und dran gewesen, seine Mitwisserschaft vor dem Stadtfürsten endlich zur Sprache zu bringen - um dann doch im letzten Moment lieber zu schweigen. Drohte ihm jetzt ein zweiter Verrat? Zog Montemhet ihn erneut ins Vertrauen, um im entscheidenden Moment abermals einen Haken zu schlagen?
Fahrig griff er nach seinem Weinbecher und trank. Ein dünnes Rinnsal lief aus seinem Mund, und paar Tropfen fielen auf einen der Pläne. Als Basa sie mit einem Fluch wegwischen wollte, erstarrte er plötzlich. Die Flüssigkeit war in die Unterlage eingedrungen. Plötzlich erschienen unter den blassen Linien andere, kräftigere und mit entschiedenerer Hand geführt. Er versuchte es an einer anderen Stelle. Mit gleichem Resultat. Und an einer dritten, um ganz sicher zu gehen.
Es gab unter jedem Plan einen geheimen zweiten! Und nur, wer ihn kannte, konnte unbemerkt in die alten Gräber und wieder hinaus gelangen.
Schwer atmend lehnte Basa sich zurück.
Der Weinkrug war inzwischen leer. Gewohnheitsmäßig wollte er schon nach Iucha rufen, um sich Nachschub bringen zu lassen,
Weitere Kostenlose Bücher