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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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unter mir und bekam eine Hand frei.
    Ich beugte mich weit nach hinten, als ihre Faust auf mich zugeschossen kam und haarscharf an meinem Kinn vorbeizischte. Ich packte ihren Arm, klemmte ihn unter meinen und verdrehte ihr den Ellbogen. »Wer sagt das?«
    Ich hatte mir keinen besonderen Plan zurechtgelegt. Falls ich bei dieser primitiven Prügelei den Kürzeren zog, musste ich darauf hoffen, dass sich mein Schutzengel-Vampir einen magischen Trick einfallen ließ, um mir zu helfen.
    »Ich.« Mia zerrte ihren Arm frei. Und dann hämmerte sie mir einen Rückhandschlag seitlich an den Kopf, dass mir Hören und Sehen verging. »Weil du wertlos bist, du Proll.«
    Die Zeit blieb stehen.
    In diesem Augenblick war ich zehn, und mein Dad drosch mir mit voller Wucht den Handrücken ins Gesicht, weil ich in seinem Sessel saß, als er nach einem miesen Tag heimkam. Ich war vierzehn, und ihm passte mein Eyeliner nicht. Ich war neun … ich war zwölf … ich war fünfzehn …
    Du bist wertlos. Ich hatte es immer wieder gehört. Ich war im Weg gewesen. Unbeachtet geblieben. Hatte Prügel bezogen. Wertlos. Ein Nichts.
    Aber ich war nicht wertlos. Ich hatte etwas aus mir gemacht. Ich besaß einen eisernen Willen. Ich wusste, wer ich war. Andernfalls wäre ich längst abgestürzt. Wäre in Florida geblieben, daheim auf der Couch, vor der Glotze, ein Bier in der Hand.
    Ich war Annelise Drew, und ich kannte meinen Wert.
    Ich hatte Treffer ausgeteilt und kassiert. Doch in diesem Augenblick wurde ich zur Kämpferin.
    Mia holte erneut zu einem Schlag aus, aber ich fing ihren Arm mitten im Schwung ab. Ich umklammerte ihr Handgelenk und hielt es wie in einem Schraubstock fest. Ich stellte mir vor, wie diese ballerina-dünnen Knochen unter meinem Griff zerbröselten.
    Entspannen, Acari. Pritis Stimme hallte in meinen Gedanken wider. Durchatmen.
    Mein Leben lang hatte ich mit angesehen, wie Menschen in meiner Umgebung die Beherrschung verloren. Und ich wollte nicht wie sie werden. Wahrscheinlich würde ich Mia töten, ja. Aber wichtiger als das war mir, dass ich sie besiegte .
    Ich atmete tief durch. Adrenalin strömte durch meine Adern, drängte mich zum Handeln, doch ich ließ mich nicht drängen. Ich hatte mich in der Gewalt.
    Das Blut half mir. Ich hatte seit dem Morgen nichts mehr zu mir genommen, aber ich hatte regelmäßig Blut getrunken, und ich war weit kräftiger als noch vor wenigen Monaten. Ich beschwor es jetzt, besann mich auf das starke Gefühl, das mich jedes Mal nach dem Trinken überkam. Ich spürte, wie mein eigenes Blut durch den Körper gepumpt wurde, stellte mir vor, wie die Muskeln es aufsogen und Sauerstoff in meine Zellen flutete. Ich entdeckte eine innere Kraft – das Geschenk des Blutes.
    Mit den Oberschenkeln nahm ich Mia so in die Zange, dass sie bewegungslos unter mir lag. Dann holte ich das Messer aus der Scheide und hielt es ihr mit einem grimmigen Lächeln an die Kehle. »Gib auf, Mia!«
    Sie bäumte sich auf, spuckte mich an und versuchte mir mit der freien Hand das Gesicht zu zerkratzen. »Nie!«
    »Nicht sehr vornehm für eine Ballerina.« Ich drückte die Messerspitze stärker auf. Ein dünner Blutfaden tröpfelte ihren Hals entlang. »Noch einmal – gib auf! Das ist deine letzte Chance.«
    »Also schön.« Ihr Körper wurde schlaff. »Du hast gewonnen. Aber jetzt lass endlich los!«
    Ich erhob mich, da ich wusste, dass die Sucher jeden Moment erscheinen würden, trat einen Schritt zurück und wandte mich der Menge zu. Die plötzliche Stille und das Entsetzen auf den Gesichtern warnten mich.
    Ich riss den Messerarm hoch, noch ehe ich herumwirbelte.
    Mia hatte sich aufgerappelt. Sie schwang die Kama über dem Kopf und wollte sie eben niedersausen lassen, um mir die Schulter zu spalten.
    Ich überlegte nicht, ich warf einfach. Ich beschwor das Blut und malte mir so deutlich aus, wie sich die Klinge zwischen ihre Rippen bohrte, dass es fast unwirklich anmutete, als alles so geschah, wie ich es vorausgesehen hatte.
    Mia fiel auf die Knie und presste beide Hände gegen die Brust. In ihren Augen mischten sich Hass und Entsetzen.
    Der Gong ertönte. »Acari Drew erreicht die Finalrunde.«

Yasuo, Emma und ich standen in der Nähe der Granitplatte und warteten auf Lilous Halbfinale. Die Siegerin dieses Zweikampfs würde noch am gleichen Abend in der Finalrunde gegen mich antreten.
    Ich zitterte am ganzen Körper. Meine Ohren dröhnten, meine Hände pochten, und ein Ziehen und Stechen durchdrang sämtliche

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