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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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Mädchen mit dem Herzgesicht stand dicht vor mir. Das kastanienbraune Haar hatte durch die Nässe die Farbe von gebrannter Siena angenommen und klebte ihr in nassen Strähnen im Gesicht. Sie machte einen verwirrten Eindruck.
    Herzgesicht wich nicht rasch genug aus, und Lilou rempelte sie an. Das Mädchen begann zu taumeln. Instinktiv packte ich sie am Ellbogen und bewahrte sie so vor dem Sturz. Unsere Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde. Sie war einer Ohnmacht nahe, und meine Berührung schien ihr fast unangenehm zu sein. Ich zog die Hand zurück.
    Ich hatte sie aus einem Reflex heraus gerettet. Klüger wäre es vermutlich gewesen, sie umkippen zu lassen, und zu meiner Schande spielte ich dieses Szenario einen Moment lang bis zu Ende durch.
    »Schläfrig?« Lilous muntere Stimme erklang hellwach neben meinem Ohr und riss mich aus meinen Gedanken.
    Es dauerte einen Moment, bis ich kapierte, was sie meinte. Meine Haut fühlte sich verbrüht an, mein Verstand benebelt und langsam. Die anderen Mädchen hatten mir ein paar Stunden Schlaf voraus. Auch auf dem Flug hierher hatte ich kein Auge zugetan. Das hieß, dass ich seit einer halben Ewigkeit auf den Beinen war.
    Aber Lilou saß im selben Boot.
    »Nein, du Schnarchnase .« Ich zwang mich zu einem breiten Grinsen und tat so, als legte sich die Luft, die ich einatmete, nicht wie Feuerwatte um meine Lungen. Ich straffte die Schultern und dachte an Gletscherbrisen und einen Krug mit Eiswasser. Ich würde ihn leer trinken, sobald ich hier rauskam. Ich stellte mir vor, wie ich das kühle Glas in Händen hielt, wie mir die Tropfen kalt über das Kinn liefen.
    »Du hast ja keine Ahnung, worauf du dich da einlässt.« Lilou wandte sich wutentbrannt ab. Als sie herumwirbelte, schlug mir ihr Rucksack gegen das Kinn.
    Ich stolperte zur Seite und verlagerte mein Gewicht auf den rechten Fuß. Aber die Stiefel hatten Gummisohlen, und ich rutschte auf den nassen Kacheln weg.
    Meine Arme ruderten wie in Zeitlupe durch die Luft. Ich hörte, wie mein Körper dumpf aufschlug und mein Kopf gegen die harten Fliesen krachte. Das Gewicht des Rucksacks presste mir die Luft aus den Lungen.
    Eine Trillerpfeife zerriss die Stille.
    Ich hatte verloren.
    Ich lag da und versuchte mühsam zu atmen. Stiefel trampelten an mir vorbei. Plötzlich schienen sich die Dampfschwaden zu verziehen. Mir kam vage zu Bewusstsein, dass kein heißes Wasser mehr aus den Sprühdüsen floss.
    Grobe Hände fuhren mir unter die Achseln und zerrten mich hoch. Ich kämpfte meine Angst nieder. Worin würde meine Strafe bestehen? Nun, schlimmer als dieser Dampf konnte sie kaum sein.
    Aber dann hörte ich Mashas Stimme. »An die frische Luft, Acari?«
    Ich zwang mich, sie anzusehen. Ich wusste, dass sie ein Nicken erwartete, aber es fiel mir schwer, den Kopf zu bewegen.
    »Arme kleine Acari«, säuselte jemand. Eingeweihte umringten mich. »Zieht ihr das heiße Zeug aus!« Hände nahmen mir den Rucksack ab, die Mütze, die Handschuhe, öffneten den Parka-Reißverschluss …
    Hände zerrten mir rücksichtslos den Wollpullover vom Leib, obwohl er sich kaum über Kinn und Ohren streifen ließ. »Es wird Zeit für eine Abkühlung.«

»Ins Freie?«, fragte ich. Die Eingeweihten hatten mich nach unten in die Empfangshalle geführt, nackt bis auf die Unterwäsche. Ich hatte mir bei dem Sturz die Rippen geprellt, und mein Zittern verstärkte den Schmerz.
    Ein paar Türen entlang des Korridors gingen einen Spaltbreit auf. Vorsichtig spähten Mädchen aus der Sicherheit ihrer Schlafstuben, um meine Folter mitzuerleben. Obwohl man an alle Neuen die gleichen hässlichen beigefarbenen BH s und Oma-Unterhosen ausgegeben hatte, glühten meine Wangen vor Scham.
    Das war leider so ziemlich alles, was glühte. Meine Zähne begannen zu klappern, und ich sehnte mich nach der Hitze des Duschraums zurück. Die Eingangstür stand offen. Das Sternenlicht fiel auf graue Flockenwirbel. Warum hatte ich die Heiße Party so verabscheut? Das war mir in diesem Moment unverständlich.
    »Und worin besteht nun meine Strafe?« Ich schlang frierend die Arme um den Oberkörper. »Dass ihr mich hier halb nackt vorführt oder dass ich mir eine Lungenentzündung hole?«
    »Weder noch.« Jemand schubste mich. Ich stolperte vorwärts und fing mich gerade noch ab, bevor ich stürzte. »Es ist der Lauf.«
    »Und du hast dir eben eine Extrarunde eingehandelt, Klugscheißerin.« Ich glaubte die Stimme der Rothaarigen zu erkennen.
    Die Rippenschmerzen

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