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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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verwandelten sich in Übelkeit. Ich sollte laufen ? Das erklärte, weshalb sie mir befohlen hatten, die weißen Nikes aus meinem Seesack zu kramen und anzuziehen.
    »Vier Runden um den Hof«, sagte Masha. »Und keine Abkürzungen an den Ecken!«
    Ich nickte und bewegte die Zehen in den Laufschuhen. Meine Sohlen waren vom Duschen aufgeweicht und feucht, aber ich empfand dennoch eine armselige Dankbarkeit, dass diese Weiber mich nicht barfuß durch den Schnee rennen ließen.
    »Keine Abkürzungen an den Ecken … egal wie dunkel es dort ist «, kommandierte eine andere Eingeweihte. Wieder schubste mich jemand.
    Masha beugte sich vor und schnurrte mir ins Ohr: »Wir passen genau auf.«
    Irgendwo in den Tiefen meines Gehirns schaltete sich ein Überlebensinstinkt ein. Ich hechtete vorwärts und war draußen, bevor mich der letzte Stoß über die Schwelle befördern konnte.
    Die Nachtluft brannte in meinen Lungen. Ich redete mir ein, dass es nicht soo kalt sein konnte – der Schneefall hatte die Temperatur tatsächlich auf etwa sieben Grad Celsius angehoben. Wenn ich mich ständig bewegte und vier Runden durchhielt, würde mich das Wetter nicht umbringen.
    Diese Weiber, sie konnten mich umbringen. Das hier nicht.
    Aber ich hatte nie Sport getrieben. Ich war noch nie im Leben eine Meile gelaufen, und ich ging die Strecke zu schnell an. Noch bevor ich die erste Ecke erreicht hatte, schmerzte meine Kehle bei jedem Atemzug. Und ich bekam Seitenstechen, das sich wie eine eisige Kralle anfühlte.
    Ich zwang mich, langsamer zu laufen, doch die Kälte machte mich ungelenk, und meine Beine waren steif wie dicke Holzstumpen. Eine Gänsehaut schnürte mir sämtliche Muskeln zusammen. Ich fror bis ins Mark.
    Ich näherte mich der ersten Kurve und achtete darauf, dass ich ganz außen lief, obwohl eine hohe, knorrige Hecke über den Weg hing, als wollte sie mich verschlingen. Die Eingeweihten hatten mit ihren Drohungen düstere Gedanken an allerlei Dämonen in mir heraufbeschworen.
    Keine Dämonen. Vampire , korrigierte ich mich. Vampire lauerten in der Nacht, um sich auf mich zu stürzen. An den Gedanken musste ich mich erst gewöhnen.
    Andererseits war ich durch die Drohungen vorgewarnt. Ich hatte mit einem Dämon gerechnet, der sich in den unheimlichen Astgerippen verbarg, und so überraschte es mich nicht, als ich ihn sah.
    Er stand so grau und leblos da, dass ich ihn anfangs für eine Statue hielt. Mondlicht schimmerte hell auf seinen Zügen.
    Er hätte eine Statue sein können, wäre da nicht das Leuchten in seinen Augen gewesen. Kein roter Glanz wie in den Filmen. Eher ein stählernes Glitzern. Ein Monster auf der Lauer, das in die Nacht spähte.
    Es war nicht der Rektor. Der hier hatte schwarze Haare und trug schwarze Kleidung, die mit den Schatten verschmolz. An seiner fahlen Haut erkannte ich, dass er nicht wirklich lebte. Aber seine Augen verrieten mir, dass er auch nicht wirklich tot war.
    Diese untoten Augen starrten mir entgegen und schienen schadenfroh aufzuleuchten, als ich näher kam. Ich hoffte, dass ich mir das nur einbildete.
    Mein Herz hämmerte im höchsten Gang los, aber ich zwang mich, meine Schrittfolge beizubehalten. Zwang meine Arme und Beine, sich weder langsamer noch schneller zu bewegen.
    Er trat zurück in den Schatten. Etwas sagte mir, dass er mich nicht angreifen würde. Etwas sagte mir, dass diese Vampire süchtig nach Publikum waren. Ich rannte auf ihn zu, in die Schwärze der Hecke. Mir würde nichts zustoßen.
    Aus dem Blattwerk drang echogleich ein Wispern. Es hatte keinen bestimmten Ursprung, sondern umhüllte mich von allen Seiten, ein Raunen, das sich so alt anfühlte wie das Land selbst. »Lauf!«
    Adrenalin schoss in meine Adern. Ich schmeckte es säuerlich auf der Zunge. Und mit dem Adrenalin kam die Wut. Folter und Schikanen und Monster, die in der Nacht lauerten. Ich hatte gehofft, an einer Art Hochbegabten-College unterzukommen, aber dieses makabre Zerrbild einer Universität? Ich war unter völlig falschen Voraussetzungen hier gelandet.
    Ich fand Geschmack an meinem Zorn, steigerte ihn bewusst und lenkte ihn in Entschlossenheit um.
    Die Zeit verdichtete sich.
    Bei den nächsten Runden sah und hörte ich den Vampir nicht mehr. Meine Gedanken flossen zusammen, bis sie zwei grelle Lichtstrahlen bildeten. Rache. Freiheit. Zuerst sollte Lilou für alles büßen, was sie mir angetan hatte. Danach würde ich von hier verschwinden.
    Ronan hatte gesagt, der einzige Weg, die Insel zu verlassen,

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