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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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sich von selbst, dass ich bei dieser Taktik einen tiefen Einblick in die nordische Götterwelt bekam.
    Die Uhr im Aufenthaltsraum hatte eben 3.00 geschlagen, als ich die Schritte hörte. Um 3.01 hörte ich die Schreie.
    Ich riss mir die Stöpsel aus den Ohren, schob den iPod in meine geräumigen Liebestöter und warf einen vorsichtigen Blick in den Korridor. Sieben Eingeweihte gingen von Tür zu Tür und trommelten Acari aus ihren Betten. Die Mädchen kamen in voller Wintermontur und mit prall gefüllten Rucksäcken aus den Zimmern gestolpert. Wenn sich eine zu langsam bewegte, wurde sie gnadenlos an den Haaren nach draußen gezerrt.
    Ich geriet in Panik. Müsste ich jetzt nicht in meinem Bett liegen? Gab es eine Art Nachtruhe-Gebot, von dem ich nichts wusste? Sollte ich mich verstecken? Oder war es dafür schon zu spät?
    »He, du!«, rief eine Stimme hinter mir.
    Erschrocken wirbelte ich herum. Ich besaß die Geistesgegenwart, unterwürfig den Blick zu senken, aber erst, nachdem ich mein Gegenüber voll in Augenschein genommen hatte. Schwarze Haare, ein strenger Schnitt, harte, kantige Gesichtszüge. Die mitternachtsblaue Uniform der Eingeweihten.
    Ich dachte an die Ansprache des Rektors. Die junge Frau schwang eine schwarze Lederpeitsche, und ich erinnerte mich. Sie hatte den Auftrag, mir Grausamkeit beizubringen.

»Ja …«, antwortete ich vorsichtig. Wie lautete die korrekte Anrede? Ja, Herrin? Ja, Ma’am? Ja, Lady Lederpeitsche?
    »Ich bin Guidon Masha.« Ich vernahm in den lang gezogenen Vokalen den Hauch eines russischen Akzents. »Und du bist zu spät dran.«
    Ich zwang mich, sie anzusehen. Ich wusste, dass ich freundlich bleiben musste, aber mir war auch klar, dass ich keine Angst zeigen durfte. »Jawohl, Guidon.«
    Ein schwaches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. Offenbar hatte ich die Klippe mit der Anrede gemeistert. Guidon schien ein Rang zu sein, vermutlich eine höhere Eingeweihten-Stufe. Ich hatte im Hinterkopf, dass es sich um einen Militärbegriff handelte, aber die genaue Bedeutung war mir nicht geläufig.
    Wieder kam mir die Ansprache des Rektors in den Sinn. Es war eine wohlgeordnete Welt, in der ich mich wiederfand, eine Welt der Hierarchien und Titel. Aber ich war lernfähig. Ich spürte, wie sich meine Schultern ein wenig entspannten.
    Das Lächeln wich aus ihren Zügen. Offensichtlich hatte sie meine Körpersprache richtig gedeutet und nicht gebilligt. » Vorwärts , Acari! Geh auf dein Zimmer, pack alles, was du hast, in deinen Rucksack und melde dich in voller Uniform zurück!« Sie knallte mit der Peitsche. Das Ende sauste auf die mindestens zwei Meter entfernte Couch nieder. »Marsch, sonst mache ich dir Beine!«
    Das reichte, um mich zu beflügeln.
    Toll. Ich hatte Annelise Drews Grundsatz Nummer eins verletzt. Niemals auffallen. So etwas blieb nicht ungestraft. Meine Strafe war eine Aufseherin, die ihren Befehlen mit einer Lederpeitsche Nachdruck verlieh. Obwohl eine Peitsche wohl immer noch besser war als ein Lasso.
    Während ich im Laufschritt den Gang entlangpeste, kam mir Lilou entgegen. Der böse Blick, den sie mir zuwarf, besagte, dass sie mir die Schuld an der Unterbrechung ihres Schönheitsschlafs gab.
    Ich stürmte ins Zimmer und sammelte hektisch meine Sachen ein. Das dauerte nicht lange, da ich bisher nur ein Paar trockene Socken und einen Kulturbeutel ausgepackt hatte.
    Meine Nerven lagen so blank, dass sich ein feiner Schweißfilm auf meiner Haut bildete. Der iPod in meiner Unterhose fühlte sich feucht und schwer an. Ich blieb erschrocken stehen und kippte das Becken nach vorn, damit er nicht in die Tiefe rutschte.
    Ich warf einen Blick zur Tür. Sie stand offen, aber eine innere Stimme sagte mir, dass ich darauf jetzt keine Rücksicht nehmen konnte. Das Leben barg nun mal seine Risiken. Ich fuhr mit einer Hand blitzschnell vorne in die Leggings, fischte den iPod und das Foto aus meiner Reizwäsche und verstaute beides ganz unten in meinem Marschgepäck.
    Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich wollte nach draußen stürmen, doch dann zögerte ich. Die Wurfsterne. Es hatte geheißen, ich sollte alles in den Rucksack packen. Also rannte ich zurück, zog in aller Hast mein Kopfkissen ab, schob das japanische Kästchen in die Hülle und bettete es vorsichtig in die Mitte des Rucksacks. Ich hoffte, dass es dort am sichersten untergebracht war.
    Im Laufen hievte ich das Gepäck auf den Rücken. Die Schulterriemen verhedderten sich in meinem Parka und bewirkten ein lästiges

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