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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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Sie versuchte sich mit einem raschen Scheinangriff in Szene zu setzen, den ich mit Leichtigkeit parierte.
    Es war ein unkluger Schachzug. Ein Kurzschwert lag anfangs leicht in der Hand – bis zu dem Moment, da man es länger ausgestreckt halten musste. Ich las an ihrer gerunzelten Stirn und der verkrampften rechten Schulter ab, dass sie der Anstrengung nicht mehr lange gewachsen war.
    Mit einem schnellen Doppelschritt verkürzte ich den Abstand und schlug Claires Schwert mit meiner Klinge so nach oben, dass die Spitze das Heft berührte. Eine flinke Drehung, und sie musste loslassen. Die Waffe flog über die Seile und landete klirrend auf dem Hallenboden.
    Ich hörte ein lautes Triumphgeschrei. Das war sicher Emma. Von keinem der anderen Mädchen konnte ich Beifall erwarten.
    Claires Wangenmuskel zuckte. Sie befand sich am Rand einer Niederlage, und das gefiel ihr ganz und gar nicht. Ich warf einen Blick auf die Wanduhr. 4:37. Ob das für einen Klassenrekord reichte?
    Aber in diesem Moment riss sie den Dolch aus der Scheide und sprang mich an. Mit ihren fahrigen Bewegungen durchbrach sie meine Verteidigung. Sie traf mich an der Hüfte, und ihre Klinge zog einen tiefen Schnitt über meinen Schenkel.
    Ein heißer Schmerz durchzuckte mich, und ich sog keuchend die Luft ein. Ein Schock.
    Claire hatte einen echten Dolch. Einen Dolch mit einer rasiermesserscharfen Schneide.
    Wir starrten einander mit weit aufgerissenen Augen an. Man hatte ihr einen echten Dolch mit einer echten Schneide ausgehändigt, und wir erkannten es beide im gleichen Moment.
    »Stoppt den Kampf!«, schrie Emma. »Sie hat eine richtige Waffe!«
    Das machte keinen Unterschied. Regel Nummer sechs lautete: Der Abbruch eines einmal begonnenen Kampfes erfolgt nur nach Ablauf der Kampfzeit oder Erreichen der vollen Punktzahl, bei sofortigem Sieg oder Bewusstlosigkeit des Gegners.
    Ich humpelte zurück an die Seile, um mich für den nächsten Angriff zu sammeln. Die Uhr zeigte 4:17. Meine Hüfte pochte, und mein Schenkel brannte bei jeder Bewegung. Sie hatte es geschafft, die gesamte linke Seite aufzuschlitzen.
    Sie musterte mich mit grimmiger Befriedigung im Blick. Obwohl auf dem schwarzen Kampfanzug kein Blut zu sehen war, klebte das Material an der Wunde und fühlte sich völlig durchweicht an.
    Ich erkannte den Moment, in dem Claire entschied, mich zu töten. Ihr Gesicht verhärtete sich. Sie lächelte flüchtig, und dann sprang sie mich an, fauchend wie eine Wildkatze.
    Nach hinten konnte ich nicht ausweichen, da ich bereits die Seile im Rücken spürte. Mir blieb keine andere Wahl, als unter ihr wegzutauchen und mich zur Seite zu werfen.
    Ein kalter Luftzug wehte durch die Halle. Er jagte einen Schauer über die Schnittwunde an meinem Schenkel, aus der immer noch Blut quoll. Ich hörte, wie die schwere Eingangstür ins Schloss fiel. Jemand hatte die Halle betreten. Ich wagte einen kurzen Blick durch die Seilabgrenzung.
    Ich hatte die Männer noch nie gesehen, aber mir war sofort klar, dass es sich um Vampire handelte. Sie standen reglos da, wie erstarrt, und beobachteten mich mit Adleraugen.
    Ich wusste instinktiv, dass der Geruch von Blut sie angelockt hatte. Der Geruch von meinem Blut. Ich spürte, wie sie danach lechzten.
    Ich löste das blutdurchtränkte Hosenbein von meinem Schenkel und wankte an Claire vorbei zurück in die Mitte des Rings. Das Blut floss jetzt in Strömen, und ich gab es auf, die Hand gegen den Schnitt zu pressen.
    Die Zeit schien stillzustehen. Die Uhr zeigte seit einer halben Ewigkeit 4:02 an.
    Ich musste ruhig bleiben. Mein Schwert war stumpf, aber ich war nicht dumm, und ich war stark. Ich bin Wurzeln tief im Erdreich. Ich stehe fest auf dem Boden.
    Ich attackierte, und mein unvermittelter Angriff verwirrte Claire einen Moment lang. Es gelang mir, ihre Abwehr zu durchdringen. Mit der flachen Seite der Klinge schlug ich gegen ihre Schläfe. Ein dumpfes Klatschen unterstrich meinen Treffer.
    Sie schrie auf und hielt sich den Kopf. Ihre Augen schrumpften zu winzigen Glitzersteinen. Wütend ging sie auf mich los. Sie fuchtelte mit der Klinge umher und versuchte auf mich einzustechen, aber ihre Bewegungen waren unkontrolliert.
    Ich hob mein Schwert und blockte ihren Ansturm ab. Wieder spürte ich einen Luftzug vom Eingang her. Das mussten die Sucher sein. Sie hatten vermutlich Order erhalten, meinen Leichnam in eine Plane zu rollen und wegzubringen.
    Ich schob den Gedanken beiseite. Jetzt war volle Konzentration gefordert. Meine

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