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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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überhaupt? Oder bissen sie einfach zu? Hatte Master Alcántara Fänge? Und wenn ja – weshalb hatte ich sie nie gesehen? Waren seine Lippen weich oder hart? Das Blut stieg mir in die Wangen. Ich hatte das Gefühl, dass er jeden meiner Gedanken lesen konnte, und doch gelang es mir nicht, sie einfach abzuschalten.
    Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und öffnete sie leicht. Wie um meine unausgesprochene Frage zu beantworten, blitzte ein Fangzahn auf.
    »Gib dich keiner Täuschung hin, Annelise.« Seine gewisperten Worte waren wie ein Bann, den ich nicht brechen konnte. Er schaute mir tief in die Augen und zeichnete mit dem Daumen meine Unterlippe nach. »Meine Nachsicht hat ihren Preis, cariño . Aber ich habe beschlossen, ihn erst später einzufordern.«

Ich habe beschlossen, ihn erst später einzufordern.
    Die Worte kreisten unablässig durch meinen Kopf, während ich das schwarze Wickeloberteil meines Sparring-Anzugs glatt strich und in der Taille verknotete. Sie hatten mich die ganze Nacht verfolgt, waren in meinen Träumen herumgegeistert. Sie liefen in einer Endlosschleife ab, während ich mein Haar zu einem langen Zopf im Nacken flocht. Während ich die Gesichtsmaske aus Gitterdraht anpasste und die Handschuhe überstreifte.
    Wächterin Priti hatte erklärt, dass wir die restlichen Unterrichtsstunden zur Vorbereitung auf das Abschlussturnier nutzen würden. An diesem Tag sollten wir mit einem keltischen Kurzschwert und einem am Unterschenkel befestigten Dolch üben.
    Ich machte ein paar Kniebeugen, um mich zu vergewissern, dass alles an der richtigen Stelle saß. Im Allgemeinen kam ich ganz gut mit dem Schwert zurecht, aber Master Alcántaras Worte lenkten mich ab, und das war schlecht.
    Meine Nachsicht hat ihren Preis. Aber ich habe beschlossen, ihn erst später einzufordern.
    Welchen Preis? Ich wusste inzwischen genug über Vampire, um mir im Klaren darüber zu sein, dass diese Ankündigung nichts Gutes bedeutete.
    Und dann der seltsame Verlauf unserer Unterredung … sein beinahe intimes Geständnis, dass er mich gesucht, dass er mich auserwählt hatte. Er hatte mich fasziniert. Aber auch in Angst und Schrecken versetzt. Der Typ war praktisch tot, und doch hatte er sich rangewanzt wie ein verliebter Teenie. Hatte mir übers Haar gestrichen, seine Hand an meine Wange gelegt, mit dem Daumen meine Lippen nachgezeichnet. Ich erschauerte.
    »Schiss, Unterschicht?«
    Lilou. Den ganzen Tag hatte ich ihre Blicke im Rücken gespürt. Ich war ihr ausgewichen, aber nun stieß ich einen tiefen Seufzer aus und wandte mich ihr zu. »Vor dir? Ganz bestimmt nicht.«
    Sie schwieg. Selbst wenn ich völlig ahnungslos gewesen wäre, hätte mir ihr Gesichtsausdruck verraten, dass sie hinter der Intrige steckte. Seit dem frühen Morgen beobachtete sie mich mit tiefem Misstrauen.
    Es musste ein Schock für sie gewesen sein, mich lebend in unserem Zimmer anzutreffen.
    Sie hatte mir die Falle gestellt. Sie hatte in mir die Furcht geweckt, dass Yasuos Leben in Gefahr war, weil sie sich ausrechnen konnte, dass ich höchstwahrscheinlich sterben musste, wenn ich um Mitternacht das Wohnheim verließ.
    Es war an der Zeit, der Schlampe zu zeigen, dass sie sich die falsche Gegnerin für ihre Spielchen ausgesucht hatte. Ich setzte mich neben sie, als wir uns auf der Tribüne versammelten. »Hoffentlich habe ich dich nicht aufgeweckt, als ich letzte Nacht zurückkam.« Ich zog lässig die leere Dolchscheide an meiner Wade fest. »Und lass dir ja nicht einfallen, die Nummer mit dem iPod zu wiederholen und mich zu verpetzen. Du hast nicht den geringsten Beweis, dass ich nach der Sperrstunde draußen war.« Ich bedachte sie mit einem strahlenden Lächeln. »Wenn du wüsstest, was um Mitternacht bei diesen Steinsäulen abgeht …«
    Ihre weit aufgerissenen Augen waren ein gewisser Ausgleich für meine unheimliche Begegnung mit Master Alcántara.
    »Vorwärts, Acari!«, rief Wächterin Priti uns an die Arbeit. Sie trat an den Ring und lehnte eine kleine Kreidetafel gegen das Podest. »Hier könnt ihr ablesen, wer gegen wen antritt. Die Sparring-Regeln müssten euch inzwischen ja geläufig sein.«
    Das stimmte. Ich hatte sie auswendig gelernt.
    1. Allgemeine Treffer am Rumpf werden mit einem halben Punkt gewertet.
    2. »Kritische« Auftreffflächen (Augen, Leiste, etc.) werden mit einem Punkt gewertet.
    3. Der Kampf dauert höchstens fünf Minuten oder endet mit Erreichen von fünf Punkten.
    4. Ein K.o. wird als sofortiger Sieg

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