Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
den Hinterläufen bereits brannte, rannte den Mann fast um und zerrte ihn ein Stück mit sich auf den Hof vor der Scheune.
Hohe Flammenwedel schlängelten sich anmutig über die Seitenwand des Stalles. Grell orangefarbenes Licht leckte an der gestampften Erde zwischen Haus und Scheune.
Schließlich zerriss ein Männerschrei die Nacht. „Kate, der Stall steht in Flammen!“
Der erste Alarm kam von der Brandmeldestelle 342 an der Ecke von Canalport Avenue und Halsted Street.
Über die Gesichter der schlafenden Kinder in der West Division von Chicago flackerte ein seltsam rostrotes Licht.
1. KAPITEL
W as ist mit Deborah los?“, fragte Phoebe Palmer, die in der Mitte einer Suite in Miss Emma Wade Boylans „Pensionat für höhere Töchter“ stand. Spitzenbesetzte Unterröcke und mit Bändern verzierte Unaussprechliche lagen durcheinander auf Diwanen und Ottomanen in dem üppig mit Fransenbesatz, Perlenverzierungen und Brokat ausgestatteten Salon. „Sie will noch nicht einmal ihre Zofe zu sich lassen, dass sie ihr hilft“, fügte Phoebe hinzu.
„Ich werde nachsehen, was sie aufhält.“ Lucy Hathaway stieß die Tür zum angrenzenden Zimmer auf. Deborahs Kleid, das sie letzte Nacht in Aikens Opernhaus getragen hatte, lag zusammengeknüllt in einem Haufen aus Tüll und Seide auf dem Boden. Zerwühlte Laken bedeckten das Bett und der Duft von teurem Parfüm und von Verzweiflung hingen in der Luft.
„Deborah, geht es dir gut?“, erkundigte sich Lucy leise. Sie ging zum Fenster, teilte den Vorhang, um etwas von dem schwindenden Tageslicht hereinzulassen. In der Ferne zeichneten sich die höheren Gebäude und die Türme von Chicago vor dem Abendhimmel ab. Der Himmel war durch den Rauch und den Ruß der Fabriken in der Farbe von schmutzigem Bernstein gefärbt. Aber hier bei Amberley Grove, einem vornehmen Vorort von Chicago, in dem sich die Schule befand, versprach der windige Abend angenehm zu werden.
„Deborah, wir liegen dir schon seit Stunden in den Ohren, dich endlich fertig zu machen. Kommst du heute Abend nicht mit uns?“, hakte Lucy nach. Obwohl die Veranstaltung schlicht als Lesung aus der Heiligen Schrift angekündigt war, wussten alle, es war nur ein Vorwand für die gute Gesellschaft, sich zu treffen. Obwohl nicht auszuschließen war, dass wichtige spirituelle Themen diskutiert werden würden, würde auch Oberflächlicheres wie Klatsch und Romanzen nicht zu kurz kommen. Das heutige gesellschaftliche Zusammenkommen besaß eine zusätzliche Dramatik, eine Tatsache, die schon die ganze Woche lang die Gerüchteküche anheizte. Der unwahrscheinlich begehrenswerte Dylan Kennedy war auf Brautschau.
„Bitte, Liebes“, sagte Lucy. „Du machst mir Angst, und mir macht so leicht nichts Angst.“
Unter ihrer Decke auf dem Bett zusammengerollt konnte Deborah einfach nicht die Worte finden, um ihre Freundin zu beruhigen. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie ihr Leben vor vierundzwanzig Stunden noch gewesen war. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wer sie war, schrieb die Puzzlestücke von sich, die ihr einfielen, im Geiste wie Posten in einem Rechnungsbuch untereinander. Ein geliebtes Einzelkind. Verlobte des begehrtesten Junggesellen von Chicago. Eine privilegierte junge Frau, vor der ein wunderbares Leben lag.
Letzte Nacht war das alles eingestürzt und zerbrochen, und sie hatte keine Ahnung, wie sie das Bild wieder zusammensetzen sollte.
„Bitte, mach, dass sie sich beeilt“, bat Phoebe, tanzte aus dem Salon nebenan herein, ein schimmerndes Seidenkleid vor sich haltend. „Miss Boylans Kutsche wird in einer halben Stunde vorfahren. Man stelle sich nur vor! Dylan Kennedy wird sich eine Frau wählen.“ Sie posierte vor einem frei stehenden Spiegel, plusterte sich auf und strich sich über ihr glänzendes braunes Haar. „Ist das nicht herrlich romantisch?“
„Es ist jedenfalls eindeutig barbarisch“, erwiderte Lucy. „Warum sollen wir uns wie Pferde bei einer Auktion den Männern vorführen lassen?“
„Weil“, antwortete Kathleen O’Leary und kam zu ihnen in Deborahs Schlafzimmer, „Miss Boylan versprochen hat, dass ihr alle dort anwesend sein werdet. Drei perfekte junge Damen“, ergänzte sie mit einem Anflug irischer Ironie. Sie griff nach dem Vorhang am Himmelbett. „Ist alles mit Ihnen in Ordnung, Miss?“, fragte sie. „Ich habe schon den ganzen Tag immer wieder versucht, nach Ihnen zu sehen.“ Die Zofe streckte eine blasse Hand aus und tätschelte zögernd den elend
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