Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
wollte die Worte aussprechen, aber sie konnte einfach nicht – weil sie gelogen gewesen wären. Nichts war in Ordnung, und nichts konnte mehr wie früher sein. Aber wie sollte sie das ihren besten Freundinnen begreiflich machen?
„Es ist eine private Angelegenheit“, meinte sie schwach. „Bitte. Ich werde alles erklären, wenn ich zurückkomme.“
„Ach, du willst ja nur geheimnisvoll tun“, ereiferte sich Phoebe. „Du versuchst bloß wieder, dich wichtigzumachen und alle Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen, wenn du mich fragst.“
„Niemand hat dich gefragt“, erwiderte Lucy streng.
Phoebe regte sich noch eine Weile weiter auf, aber die anderen hörten ihr nicht mehr zu. Obwohl sie von Beginn an mit ihnen zusammen die Schule besuchte, grenzte sie sich gerne von ihnen ab. Ihre Familie war beinahe so reich wie Deborahs Vater und beinahe so blaublütig wie Lucys, und offenbar hatte sie daraus geschlossen, dass diese beiden „Beinahe“ sie über ihre Freundinnen stellten. Sie war ein schrecklicher und unverbesserlicher Snob, gewöhnlich gutmütig, auch wenn ihre Bemerkungen zu Kathleen O’Leary manchmal grenzwertig boshaft waren. Phoebe war der festen Überzeugung, dass man nicht einfach auf ein exklusives gesellschaftliches Ereignis verzichtete. In ihren Augen zeigte die leidige Situation nur wieder die Unterlegenheit eines Mädchens wie Deborah Sinclair. Neureiche verstanden einfach nicht, wie bedeutsam es war, die richtigen Anlässe mit den richtigen Leuten zu besuchen.
„Ich werde am besten meinen Kutscher rufen“, sagte Deborah.
Lucy gab die Tür frei. „Ohne dich wird es nicht dasselbe sein.“
Deborah biss sich auf die Unterlippe, fürchtete, dass das Mitleid ihrer besten Freundin die Eisbarriere zum Schmelzen bringen könnte, die sie so sorgfältig zwischen Gefasstheit und Wahnsinn errichtet hatte. „Hilf Kathleen bitte mit dem Kleid“, sagte sie in der Hoffnung, von sich abzulenken.
Nachdem sie ihre Kutsche bestellt hatte, streifte Deborah sich ein einfaches blaues Sergekleid über, knöpfte es zu und schlang sich einen Schal um die Schultern. Ihre Füße steckte sie in italienische Ziegenlederstiefelchen, allerdings verzichtete sie darauf, sie zu schnüren, sondern wickelte sich einfach die Schnürsenkel ein paar Mal um die Knöchel. Schließlich stülpte sie sich noch einen Hut auf.
Im Salon nebenan kleideten die anderen sich wesentlich sorgfältiger an. Kathleen, deren Augen vor verbotener Freude leuchteten, schlüpfte in das französische Kleid, und ihre Unterwäsche aus grobem Leinen verschwand unter mehreren Lagen kostbarster Unterröcke. Das Kleid aus smaragdfarbener Seide und ihr irischer Teint verliehen ihr das Aussehen einer keltischen Prinzessin, und ihr Gesicht glühte vor Aufregung.
Bevor sie ging, machte Deborah einen Schritt nach hinten und betrachtete die Szene vor sich, sah sie zum ersten Mal wie durch die Augen eines außenstehenden Beobachters. Gegen den Widerstand ihres Vaters hatte sie sein prächtiges Stadthaus verlassen und ihre Zimmer dort gegen die Suite hier in den soliden neugotischen Mauern von Miss Boylans Pensionat eingetauscht. Ihr Vater war der Ansicht, die beste Erziehung erhielten junge Damen zu Hause. Nachdem er jedoch erfahren hatte, dass eine Hathaway und eine Palmer ebenfalls dort sein würden, hatte er nachgegeben und Deborah erlaubt, ihre Erziehung zu einer eleganten jungen Dame in dieser exklusiven Schule für höhere Töchter abzuschließen. Voller Zuneigung betrachtete sie Lucy, Kathleen und Phoebe, die ihre vertrautesten Gefährtinnen waren und – so überlegte sie – vermutlich ihre einzigen Freundinnen. Sie hatten zu viert alles geteilt – ihre Hoffnungen und Träume, ihre gebrochenen Herzen und die romantischen Triumphe.
Jetzt jedoch war Deborah mit etwas konfrontiert, das sie mit ihren Freundinnen nicht teilen konnte. Es ging einfach nicht. Es war zu schlimm. Außerdem musste sie es ihrem Vater sagen. Das war unumgänglich. Lieber Gott betete sie stumm. Mach, dass er mich versteht, bitte. Nur dieses eine Mal.
„Ich wünsche euch einen wunderschönen Abend“, rief sie von der Tür aus, eine Hand schon auf der Türklinke. „Ich will nachher alles über Kathleens Debüt haarklein erzählt bekommen.“ Das Sprechen fiel ihr schwer, da ihre Kehle vor Angst wie zugeschnürt war.
Kathleen eilte zur Tür. „Miss Deborah, sind Sie sicher, dass …“
„Absolut.“ Das Wort war nicht mehr als ein Hauch.
„Jetzt lasst die Arme doch
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